Kultur

Dürers widerborstige Gegenspieler

Er signierte seine Bilder mit dem MonogrammAA“, was auch „der Andere Albrecht“ bedeuten könnte: Denn zu Lebzeiten wie auch später in der Kunstgeschichtsschreibung stand Albrecht Altdorfer (um 1480 – 1538) stets eine Reihe hinter seinem großen Zeitgenossen Albrecht Dürer (1471 – 1528).

Nun aber ist Altdorfer der Star einer Ausstellung, die ihn als Kopf einer Gegenbewegung zu Dürers Kunstverständnis zeigt: „Fantastische Welten“ – eine Kooperation des Kunsthistorischen Museums (KHM) und des Städel Museums Frankfurt – beschäftigt sich mit den wilden, expressiven, anti-klassischen Darstellungsformen, die sich um 1500 nördlich der Alpen entwickelten.

Auf relativ kleinem Raum höchst effektiv arrangiert, führt die Ausstellung zu Heiligenbildern, Kreuzigungsdarstellungen und Altarfiguren, deren Gestalter ganz bewusst auf die von die von Dürer aus Italien importierte Ebenmäßigkeit verzichteten. Statt dessen ging es um maximale Emotionalität.

Altdorfer machte dies in der Malerei durch regelrechte Farbexplosionen, wild wuchernde Landschaften und dramatische Perspektiven vor. Etwa in seinen zwei Gemälden zur Grablegung und Auferstehung Christi oder einem Doppelbildnis der Heiligen Franziskus und Hieronymus, die durch Askese und Schmerz Gott begegnen. Die Gläubigen sollten sich in die Situation der heiligen „Vorbilder“ versetzen können, deshalb sparte man nicht an körperlichen Details wie klaffenden Wunden und schmerzverzerrten Gesichtern.

Leiden und Ekstase in 3-D

Besonderes Augenmerk widmet die Schau auch der Bildhauerei, die Leid und Ekstase nochmals „greifbarer“ darstellen konnte.

Der untere Bereich des 1516 – 1525 entstandenen „Zwettler Altars“, der aus dem Waldviertler Kloster später in das mährische Adamov/Adamsthal übersiedelte, nimmt die Besucher gleich zu Beginn der Schau gefangen. Ineinander verkeilt erscheinen hier zwölf Apostelfiguren, die Adern treten ihnen auf der Stirn hervor, Haare und Bärte winden sich in kunstvollen Schlangen und Kringeln, knochige Hände gestikulieren gen Himmel oder um eine Bibel herum. Alles, was das Repertoire der Ausdrucksformen hergibt, ist hier auf die Spitze getrieben.

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Ideologie und Kunst

Die Frömmigkeit, die nach solchen Bildformen verlangte, lässt sich aus heutiger Sicht nur mehr schwer nachvollziehen. Dem Team um Kurator Guido Messling gelang es dennoch, in präzisen Saaltexten hilfreiche Kontextinformationen zu den Bildern zu verpacken.

So machte das „barbarische“ Image der Region nördlich der Alpen zu jener Zeit eine Neubewertung durch – unter anderem, weil Gelehrte wie der in Wien wirkende Konrad Celtis das Werk „Germania“ des antiken Autors Tacitus neu entdeckten. Altdorfer & Co. konnten vor diesem Hintergrund Wälder und Landschaften als symbolisch bedeutsam und die Bewohner des Landes als edle Menschen darstellen.

Die Echos dieser Identitätsfindung hallten lange nach – in den Selbstdefinitionen des deutschen Expressionismus am Beginn des 20. Jahrhunderts, aber auch in der Ideologie der Nazis. Die Ausstellung spricht diese Verbindung offen an. Und konterkariert sie u.a. mit dem Befund, dass die expressive Kunst um 1500 keine rein „deutsche“ Angelegenheit war. Die Vielfalt der Exponate unterstreicht dies – und eröffnet so einen Blick auf eine ebenso aufregende wie mysteriöse Kunst.