Die Stadt ohne Juden - von Hugo Bettauer
Als
Hugo Bettauer 1925 erschossen wird, ist er nicht nur einer der erfolgreichsten, sondern auch umstrittensten Schriftsteller Österreichs. Im selben Jahr wurde sein Roman "Die freudlose Gasse" mit Greta Garbo verfilmt, ein Jahr zuvor "Die Stadt ohne Juden" mit Hans Moser und Ferdinand Maierhofer (erst 2008 wieder zugänglich gemacht durch die "Edition Österreichischer Film"). Seine Skandal-Zeitschriften - in denen er für Homosexualität, Schwangerschaftsabbruch und ein modernes Scheidungsrecht eintrat - gehörten zu den Wochenblättern mit den höchsten Auflagen ihrer Zeit. Hugo Bettauers Leben gleicht einem Roman, wirkt wie eine seiner expressionistischen Grotesken: Geboren als jüdischer Sohn eines Börsenmaklers, Jugendfreund und Mitschüler von Karl Kraus, riss er mit 16 Jahren aus und schaffte es bis nach Alexandria. Er wurde wieder zurückgeschickt, konvertierte mit 18 zum evangelischen Glauben, erbte das Vermögen seines Vaters, verlor es durch Spekulationen, heiratete, lebte in New York, Berlin und München. Er schlug sich als Journalist und Kabarettist durch, ließ sich scheiden, ging 1904 erneut nach Amerika und kehrte 1910 nach Wien zurück. So geht es weiter: Er gründet Zeitschriften, schreibt Kriminalromane, arbeitet als Korrespondent.
In den zwanziger Jahren erreicht er den Höhepunkt seiner Schaffenskraft - und schreibt sein berühmtestes Werk: "Stadt ohne Juden" wurde 1922 veröffentlicht. Das Buch mit dem Untertitel "Ein Roman von übermorgen" kommt satirisch daher, als unterhaltsamer, "kleiner Zukunftsroman", wie Bettauer selbst schrieb. Auf knapp 100 Seiten skizziert er ein morsches, von der Inflation geplagtes Wien, das sein Glück in einem neuen Gesetz sucht: Alle Juden müssen Österreich verlassen. Der Exodus wird vollstreckt, die Wiener jubeln, aber nicht lange: Zwar stehen jetzt viele Wohnungen leer, aber die Österreichische Krone fällt wie nie zuvor. Geld, Mode, Kultur - alles dahin. Die Theater und Kaffeehäuser verwaisen, Armut und Verzweiflung breitet sich aus. Schließlich wird das Gesetz rückgängig gemacht, der Bösewicht vor die Tür gesetzt und Reue gezeigt: "Der Bürgermeister von Wien (...) betrat den Balkon, streckte segnend seine Arme aus und hielt eine zündende Ansprache, die mit den Worten begann: ,Mein lieber Jude!`"
Was als Komödie von Bettauer geschrieben wurde, als ironische Abwatschung jenes primitiven Antisemitismus im Österreich der Zwanziger Jahre, das bleibt späteren Leserinnen und Lesern quer im Halse stecken. Zu grausig tragen die Nachgeborenen am Wissen um den wenige Jahre später vollzogenen Holocaust. Die Brutalität des Völkermordes steht drastisch zum vergleichsweise harmlosen Roman in Kontrast. Hugo Bettauer - der 1872 in Baden bei Wien geborene Jude - muss gleichzeitig ein begnadeter Visionär und naiver Optimist gewesen sein. "Die Stadt ohne Juden" war von Anfang an ein so erfolgreiches wie - natürlich - umstrittenes Buch. Begeisterten Kritiken aus Amerika standen Schmähungen des erstarkenden Nazitums gegenüber. Als ein junger Zahntechniker am 10. März 1925 Hugo Bettauer in seiner Wiener Zeitschriftenredaktion aufsucht und ihn mit fünf Kugeln niederstreckt, ist der Hass auf diesen Autor noch nicht verebbt. Der Mord an Bettauer ist bis heute nicht vollständig ergründet - doch die Mitgliedschaft des Täters bei der NSDAP, seine arische Verblendung und der Hass auf die jüdische Bevölkerung sind evident. Bettauer erlag seinen Verletzungen nach 16 Tagen. Der Autor des "kleinen Zukunftsromans", jener satirischen Geschichte um eine "Stadt ohne Juden" - er ist für sein Buch gestorben.