Kultur

Mond über Belfast

Vor der Haustür liegt eine fein säuberlich abgeschnittene Hand. Jetzt ist die Frage, die sich Karl Kane – obwohl noch ziemlich benebelt, so früh am Morgen – stellt:

Ist sie für ihn bestimmt? Ein Zeichen? Oder wurde sie vielleicht nebenan in den Mistkübel geworfen, wo eine hungrige Katze sie herausgefischt hat?

Aha. Scheint logisch. Da läuft sie, die Katze. Mit dem kleinen Finger im Maul.

So geht’s zu in den Kriminalromanen des Nordiren Sam Millar, die zurzeit zu den aufregendsten überhaupt gehören.

In "seiner" Stadt ist man nicht so glücklich: Im ersten Roman der Serie, "Die Bestien von Belfast", wird Menschen die Haut abgezogen, in "Die satten Toten" werden Frauen entführt und wie Gänse gemästet ... "Ich verstehe, dass die Leute Belfast im schönen Licht sehen wollen", hatte Sam Millar kürzlich im KURIER-Interview gesagt. "Aber als Schriftsteller habe ich so zu schreiben, wie ich die Dinge sehe. Nicht alles in Belfast ist dunkel und mörderisch. Das stimmt schon. Aber ich zeige die Schattenseiten."

Jetzt zeigt der 58-Jährige in Band drei "die kalte Kralle". Sein Privatdetektiv Karl Kane hat noch immer juckende Hämorrhoiden ("Er soll eine ganz normale Person sein, mit Warzen und Hämorrhoiden"), sein Computer-versierter Helfer ist über 40 und geht sehr langsam auf die 16 zu (schon die Wohnungstür ist voller Superman-Aufkleber, auf seinem T-Shirt steht "Schlagt keine Kinder - sie haben Waffen") ... Humor muss sein, um Sam Millars Geschichten auszuhalten.

Ziege voran

Ein Serienmörder wird gesucht. Er scheint gute Beziehung zum Schlachthof zu haben.

Wenn man bedenkt, dass Donna Leon im -Fall Nr. 21, "Tierische Profite" ihren Commissario Guido Brunetti nur kurz zur Besichtigung eines Schlachthofs in Mestre geschickt hatte – und schon waren ihre Fans entsetzt ...

Bei Sam Millar wird man beim Lesen bestimmt weiß im Gesicht; und Karl Kane braucht dringend Schnaps.

Die "Judasziege", die den Kühen vorausgeht und sie zum Tod durch Elektroschock führt, ist ein Bild, das man schwer vergessen kann.

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Die Ziege biegt übrigens rechtzeitig ab.

Der Krimi hat eine Direktheit, die man selten findet.

Was an Brutalitäten geschieht, passt gut zum totenbleichen Mond, der – Zitat – wie ein Hoden ohne den zugehörigen Hodensack am Nachthimmel von Belfast schwebt.

Verstörung ist ja gut, eine Störung ist nicht so gut; und störend ist, dass "Die kalte Kralle" mehrmals unscharf Bezug nimmt auf frühere Erlebnisse Karl Kanes.

Das könnte etwas verwirren. Es könnte aber auch dazu führen, das Versäumte nachzuholen. Dann kennt man die ganze schreckliche Welt.

KURIER-Wertung:

INFO: Sam Millar: „Die kalte Kralle“. Übersetzt von Joachim Körber. Atrium Verlag. 304 Seiten. 17,50 Euro.