Kultur

Die Hölle liegt auf der Streif

Der Schneesturm zieht seinen Schwanz ein, Lawinen halten die Luft an, in jeder Schneeflocke grüßt Gott. Und warum ist das so? Weil der Münchner Albert Ostermaier auf Skiurlaub war und aus einem Pisten-Lautsprecher gehört hat: Ein kleiner Bub sei in der Menge verloren gegangen. Da bekam er Lust auf so etwas Ähnliches wie einen Thriller. Mit Serienkiller. Mit tödlicher Beichte in der Kirche.

Hinterseer-Bettzeug

Nun ist Ostermaier allerdings Lyriker und Theaterautor. Am Wiener Burgtheater war er von 2003 bis 2009 engagiert. (Andrea Breth inszenierte sein Stück „Nach den Klippen“, Elisabeth Orth trug als Zauberin Circe blonde, rote, schwarze Perücken.)

Wohl deshalb wurde „Seine Zeit zu sterben“ ein Thriller, der bestimmt besser wirkt, wenn man ihn laut und theatralisch vorträgt: WAS WÄRE PASSIERT, WENN DIE LEUTE GEDACHT HÄTTEN, DIE HÖLLE LIEGE NICHT UNTER DER ERDE, SONDERN HIER OBEN ZWISCHEN DEN GIPFELN, UND IHR FEUER WÄRE KÄLTE?

Der Roman spielt in Kitzbühel, Weltstadt für ein paar Stunden, am Tag der Abfahrt auf der „Streif“, 2013. 35 Millionen Euro Umsatz (nur so nebenbei).

Der Südtiroler Dominik Paris hat gewonnen. Peter Fill ist gestürzt. Arnold Schwarzenegger saß im Publikum. Steht alles im Buch. Ostermaier fühlt sich wohl am Hahnenkamm. Hier kann er nach Herzenslust von den Hansi-Hinterseer-Leintüchern berichten, von Toni-Sailer-Masken, Jagertee, von Russen und Deutschen, die mit Champagnerkübeln ihr Revier markieren.

Kitzbühel liebt Thrill und Drama, und der 46-jährige Autor tut das auch. Unklarer halt. Irgendjemand hat ihm eingeredet, im Krimi müsse viel unsichtbar bleiben. Deshalb gibt es zwar den Ödön und den Huller, die Bonnie und den Igor, den Vladmir und den Andrej (der mit Vladmirs Frau schläft) – aber sie werden nur gebraucht, damit Albert Ostermaier die Genre-Grenzen überschreiten kann.

Sie sind geheimnisvolle Staffage für die sprachliche Artistik und die philosophische Feststellung: „für alles kommt die Zeit“ (Zeit zum Lieben, Beten, Sterben – Marlene Dietrich hat darüber gesungen; ohne Thrill).

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Ein kleiner Bub verschwindet während des Rennens. Eine sympathische Figur übrigens. Die Eltern kümmerten sich wenig um ihn. Wurde er entführt? Von einem bösen Russen? Oder vom ausrangierten österreichischen Ski-Star getötet? Kitzbühel sucht ... diskret: Man will Aufsehen vermeiden. Das ist böse. Dem Roman hätte Zurückhaltung allerdings nicht geschadet.

KURIER-Wertung:

Info: Albert Ostermaier: „Seine Zeit zu sterben“ Suhrkamp Verlag. 305 Seiten.19,50 Euro.