Die Geschichte entschärfen
Von Peter Pisa
In Triest lebte Diego de Henriquez. Er sammelte Kriegsmaterial, Tötungsmaschinen, um die Notwendigkeit zu dokumentieren, dass der Wahnsinn aufhört.
Im Feuer, das 1974 aus ungeklärter Ursache ausbrach, verbrannte auch er.
Diego de Henriquez hatte immer zwischen seinen Objekten geschlafen.
In der Inschrift auf dem Grabstein fordert er Passanten auf, ihm ihre Schwerter auszuhändigen, damit diese Schwerter nicht mehr zuschlagen können ...
Ein genialer Mann.
Ein Träumer?
Der italienische Schriftsteller Claudio Magris hat diese Lebensgeschichte gefunden ... und hat dann "Verfahren eingestellt" erfunden.
Nun hat der Sammler keinen Namen mehr. Er ist "er", das genügt. Wichtig ist, dass er die Geschichte entschärfen wollte.
Wichtig ist, dass von ihm die Ankunft des Friedens vorbereitet werden sollte.
Ein großes Buch des 77-Jährigen ist das. Bemerkenswert die Form, bemerkenswert der Inhalt.
Zeitgeschichte für Kopf und fürs Herz.
Die Waffen
Man kann sich diesen Roman als Baum vorstellen, dessen Wurzeln im Blut der Schlachtfelder stecken. Auf den Ästen hängt vieles, das man sich näher anschauen will.
Oder: Er ist ein Gelände mit vielen Hallen. Hier kommen die Panzer hin, dort Granatsplitter, Haubitzen, Kanonen, Sturmgewehre, Dolche, Wurfspieße, ein U-Boot ist auch darunter ...
Wäre es nicht notwendig, die Computertomografie irgendeines Gehirns aufzuhängen, um zu zeigen, wo der Ausgangspunkt aller Kriege liegt? Julia überlegt.
Julia wurde beauftragt, nach dem Feuer das Museum zu planen. Sie geht mit dem Leser alle Hallen durch. In den Gängen dazwischen ist gewissermaßen das Leben ihrer Verwandten ausgestellt.
Die Großmutter: Sie wurde von der SS in der Risiera di San Sabba ermordet. Hat Großmutter auch Menschen, die ihr geholfen haben, verraten?
Damit ist man im Herzen des Romans angelangt.
Im Konzentrationslager, das die Deutschen aus einer Triester Reismühle (= Risiera) gemacht haben.
Die Trockenanlage wurde zum Krematorium umgebaut, im Hof stand eine mobile Gaskammer. Schon Claudio Magris’ Ehefrau Marisa Madieri ( 1996) hat davon erzählt.
Die Namen
Die Verantwortlichen sind bekannt, nicht immer gab es Gefängnisstrafen. Die österreichische Justiz zum Beispiel ließ Ernst Lerch in Ruhe, trotz des Vorwurfs der Beteiligung an der Ermordung von 1,8 Millionen Juden in Ostpolen.
Lech starb 1997 als Cafétier in Klagenfurt.
Die Wände im KZ wurden nach dem Krieg rasch weiß gestrichen ... und da steht bei Claudio Magris geschrieben: ER (die Hauptfigur) schrieb vor dem Übertünchen ab, was die Häftlinge mit ihren Fingernägeln eingeritzt hatten.
Nämlich die Namen bisher unbekannt gebliebener Mörder und deren Freunde.
Die Liste ist verschwunden. Verbrannt? Hängt das Feuer damit zusammen, dass die Namen veröffentlicht worden wären?
Man muss den Buchtitel als Antwort nehmen.
In Halle 14 soll es auch eine Vitrine geben mit Kugelschreibern, Drehbleistiften einer Olivetti Schreibmaschine ...
"Die Feder tötet mehr als das Schwert."
Bei Claudio Magris verwundet sie; dann heilt sie.
Claudio Magris:
„Verfahren eingestellt“
Übersetzt von Ragni Maria Gschwend.
Hanser Verlag.
400 Seiten.
25,70 Euro.
KURIER-Wertung: *****