Die Fotografin, die es nie gab
Von Peter Pisa
Das ist die Biografie der berühmten Fotografin Amory Clay (1908–1983), von deren mehreren Leben man viel weiß, sogar, von wem sie entjungfert wurde und was der Daily Express über ihre erste Ausstellung in England schrieb, nämlich:
"Miss Clay tunkt ihre Kamera in den fauligsten und dekadentesten Unrat ..."
Hinten im Buch bedankt sich der Autor bei seinen Informanten, zum Beispiel bei der noch berühmteren New Yorker Fotografin Diane Arbus – die schon seit 1971 tot ist. Aber immerhin gab es Diane Arbus.
Amory Clay hat nie existiert.
Gut getäuscht
Sie ist eine Erfindung des schottischen Schriftstellers William Boyd, der so was gern macht: Einst hatte er den US-Künstler Ned Tate erschaffen.
Das war ein derart guter Streich, dass die New Yorker Szene schon drauf und dran war, den angeblich zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Expressionisten neu zu bewerten.
William Boyd betont seinen neuesten Schmäh noch, indem zum Roman viele Fotos gehören – unscharfe, die Amory Clay zeigen, etwas schärfere, die sie "geschossen" hat: nackte Frauen in Berlin, ein sterbender Soldat in den Vogesen ...
Nein, es ist nicht erstrebenswert, vor dem Lesen von dieser Täuschung in Kenntnis gesetzt zu werden; es lässt sich aber nicht verhindern.
Man hat dann halt ständig den – dummen – Gedanken im Kopf, dass alles ja eh nicht wahr ist ... Dabei braucht Boyle den Schmäh, um in die echten 1930er-, 1940er-Jahre einzusteigen.
Und um das Porträt einer Frau zu zeichnen, die sich stets nahm, was sie wollte.
Immer eine Pall Mall, sehr oft einen Mann – die Beschreibungen von verschieden dicken Penissen sind wohl ein Ausgleich: Boyle hatte 2013 in der offiziellen "James Bond"-Fortsetzung ("Solo") dauernd von transparenten Blusen und Brüsten fantasiert.
William Boyd:
„Die Fotografin“
Übersetzt von Patricia Klobusiczky und Ulrike Thiesmeyer.
Berlin Verlag.
560 Seiten.
24,70 Euro.