Die Engel sind nicht gekommen: 9/11 in Barcelona
Von Peter Pisa
Albert Sánchez Piñol war schon bei Froschungeheuern am Ende der Welt ("Im Rausch der Stille"), und im Kongo hat er eine kalkweiße Riesin aus der Erde kommen lassen ("Pandora im Kongo").
Damals hatte er keinen Bart und schaute freundlich.
Jetzt ist der Katalane daheim in Barcelona geblieben, und weil ihm – mittels Sprachrohr – die Feststellung wichtig ist, Barcelona gehöre nicht zu Spanien, schaut er diesmal trotzig, grimmig und trägt Bart.
Keine Frösche
Es waren einmal drei senkrechte Streifen: Portugal, Kastilien, Katalonien. Sehr unterschiedlich in Sprache, Kultur, Geschichte.
Nur die Heiligenkalender waren gleich ...
Piñol (ein Anthropologe) erzählt vom Erbfolgekrieg, in dem sich vor 300 Jahren die Bourbonen gegen die Habsburger durchsetzten; und sollte jetzt jemand meinen, er möge stattdessen lieber wieder Frösche servieren – von denen einige sexy waren –, der begeht einen Fehler.
Denn "Der Untergang Barcelonas" ist so voll mit bunten, Abenteuergeschichten, dass man den historischen Unterricht nicht bemerkt.
Das ist wohl der große Roman geworden, auf den die Katalanen gewartet haben.
In ihrer (in seiner) Sprache schrieb Albert Sánchez Piñol bisher alle Romane.
Aber diesmal auf Spanisch – damit es keine Ausreden gibt, sich mit der Andersartigkeit Barcelonas zu beschäftigen.
Bis zum 11. September 1714 wird erzählt, bis zum Ende der 14-monatigen Belagerung, als die Nonnen einander Mut machten: "Kämpft weiter – die Engel sind auf dem Weg, um zu helfen!"
Die Engel kamen wieder einmal nicht. Das Kloster fiel zusammen. Die Nonnen starben. Barcelona ging verloren.
"Der Untergang Barcelonas" war 2013 das meistverkaufte Buch in Spanien.
Piñol macht es uns einfach und einfach schön: Zwischen den Fakten tummelt sich ein Schelm – ein Kriegsingenieur: Der 98-jährige Martí Zuviría sitzt im Wiener Exil und diktiert der dicken Waltraud, wie er lernte, Festungen zu bauen; wie er sie verteidigte, belagerte, wie Barcelona und der katalanische Staat ruiniert wurden.
Unsereiner merkt nicht, wie brisant der Roman ist. Als er übersetzt wurde und in den Niederlande vorgestellt werden sollte, wollte das staatliche Instituto Cervantes (Kulturinstitut) die Präsentation übernehmen.
Der spanische Botschafter hat dafür gesorgt, dass es dazu nicht kam. Offiziell war der Flugplan schuld.
KURIER-Wertung: