Der neue Edgar Allan
Von Peter Pisa
"Ward" geht gar nicht, und ganz und gar nicht geht es bei Edgar Allan Poe, der das Archaische verlieren und Modernität zeigen sollte.
Andreas Nohl hat alte Poe-Übersetzungen mit "ward" statt "wurde" schon vor Jahrzehnten kritisiert, gleichsam als Vertreter des amerikanischen Dichters auf Erden.
Seit heute, Freitag, kann man lesen, wie Nohl mit seiner eigenen Übersetzung "bis in die Haarspitzen elektrisiert" (Verlagswerbung): Band eins – von fünf Bänden – der gesammelten Werke Edgar Allan Poes liegt vor. Zunächst "Unheimliche Geschichten": Doppelmord in der Rue Morgue, Gold-Skarabäus, Fall Valdemar, Ligeia ... Man folgt dabei jener Sammlung, die Charles Baudelaire ins Französische übertragen und 1856 bis 1865 herausgegeben hat.
Nur durch ihn geschah es, dass Baudelaires Seelenverwandter nicht in Vergessenheit geriet. Denn in Amerika war Edgar Allan Poe nach seinem Tod 1849 in Baltimore sogar vom Nachlassverwalter, einem Freund übrigens, zum Trunkenbold gestempelt und weggelegt worden.
Andreas Nohl, der deutsche Schriftsteller und Kritiker, der mit Übersetzungen von Tom Sawyer, Dracula, Schatzinsel und Dschungelbuch die Weltliteratur schlichter, ungekünstelt "gemacht" hat ... Nohl gab acht, dass stilistische Floskel und Manierismen des düsteren Romantikers nicht zusätzlich verstärkt wurden.
Raserei
Zum KURIER: "Poe war für mich insofern anstrengender als Kipling oder Twain, weil jede Geschichte eine andere Stilebene hat und ich gewissermaßen immer wieder von vorne anfangen musste. Das ist bei einem Roman ja etwas anderes."
Blick in die Erzählung "Metzengerstein":
"Entsetzen und Unglück rasen in ungezügeltem Lauf durch alle Jahrhunderte", heißt es in der Nymphenburger Ausgabe aus den 1960ern.
Jetzt wird ohne das Wort "rasen" gerast: "Grauen und Tod haben in der Welt zu allen Zeiten ihr Unwesen getrieben."
In der Geschichte vom Malstrøm an der norwegischen Küste gleitet man nicht mehr aus dem Schaumgürtel hinab ... sondern: Es ist ein Rutsch in den Abgrund.
Ein buntscheckiges Drama wird zum Narrendrama, "a gala night" bleibt eine Galanacht (keine Festesnacht). Die Seele loht nicht mehr auf in einer Glut angesichts der schön bleichen Morella, sondern sie brennt einfach usw.
Poes Erzählstil, so Nohl, sei in jüngster Zeit im Deutschen historisiert, ja barockisiert worden.
Dagegen musste etwas unternommen werden, und unter dem dicken Staub kommt nahezu Unbekanntes hervor. Es ward kein Entsetzen mehr, das die Leser ergreift, sondern nun ist es ein Erschrecken und Erstaunen, das sie mitnimmt.
Edgar Allan Poe:
„Unheimliche Geschichten“
Herausgegeben von Charles
Baudelaire. Neu übersetzt von
Andreas Nohl.
dtv.
424 Seiten.
28,80 Euro.
KURIER-Wertung: *****