Kultur

Der Mann ohne Eigenschaften - Von Robert Musil

Robert Musil ist nicht nur ein Romancier allererster Güte, sondern ein wahrer Weltenbauer. Der Kosmos seines „Mannes ohne Eigenschaften“ ist ein selten komplexer: mehr als 2.000 Seiten groß, unübersichtlich, fragmentarisch. Eine grandiose Welt, die den Leserinnen und Lesern einiges abverlangt. Denn die Geschichte um Ulrich, einen Philosophen Anfang 30, bewegt sich nur sehr langsam voran, ist gar nicht so wichtig: Im Zentrum steht nicht sein Handeln, sondern sein Denken. Milan Kundera formulierte das so: „Es ist ein spezifisch romanhaftes Denken: Es enthüllt das, was einzig der Roman enthüllten kann.“ Ein größeres Kompliment lässt sich Literatur kaum machen – etwas darstellen, was eben nur Kunst zu zeigen vermag. Aber was macht diesen besonderen „Inhalt“ von Musils Meisterwerk aus? Es ist der Versuch einer alles umfassenden Synthese. Im wahren Leben stückelt sich der Mensch seine Ansichten und Erlebnisse zusammen, er selektiert zwangsläufig, konzentriert sich auf eines, blendet anderes aus. Musils Roman nicht.

Da ist kein Gespräch ohne Belang, da wirkt keine Figur als Lückenbüßer, keine Stadtbeschreibung als Folie. „Der Mann ohne Eigenschaften“ bildet die Welt auf all ihren Ebenen ab, die jeder Einzelne von uns in der Realität nicht wahrnehmen kann. Ulrich ist natürlich mitnichten „ohne Eigenschaften“, aber sie „sind ihm gleichgültig“. Er lebt in Österreich, von Musil „Kakanien“ genannt – in Anspielung auf die abgekürzte k&k-Monarchie. Ulrich entschließt sich, von seinem bisherigen Leben Urlaub zu nehmen und landet als Berater in einem Gesprächskreis, der eine Jubiläumsfeier für Kaiser Franz Joseph plant. Aber schon 1913 kann man sich nicht einig werden – die verschiedenen Vertreter der österreichischen Elite haben auch die unterschiedlichsten Vorstellungen. Ihre Diskussionen führen ins Nichts, zeigen aber die moderne Welt als bloß rational ausgerichtet. Für die Seele scheint kein Platz mehr zu sein, das Gespenst des Ersten Weltkriegs wird schon sichtbar.

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Musils Roman ist längst ein Klassiker der Weltliteratur. Und seine Entstehungsgeschichte so lang wie tragisch: 1930 erscheint der erste Teil, wird gefeiert und mit der Genialität von Joyce und Proust verglichen. Der Anfang des zweiten Teils wird 1932 publiziert.

Aber kurz darauf – nach Hitlers Machtergreifung – flieht Musil mit seiner Frau Martha von Berlin nach Wien. 1938 ist der 1880 in Klagenfurt geborene Schriftsteller bereit, die Fortsetzung herauszubringen, aber wieder muss er vor den Nazis flüchten – erst nach Zürich, dann nach Genf. Dort darf er nicht publizieren, verarmt und vereinsamt. Aber er schreibt weiter: Bis zu seinem Tod im Jahr 1942 wird er an seinem Weltentwurf, dem „Mann ohne Eigenschaften“, weiter bauen. Nach dem Krieg bringt Martha einen dritten Teil des Romans heraus, in der Folge wird es immer wieder Versuche geben, das gigantische Fragment zu einem Ende zu bringen. Das neueste Ergebnis wurde 2009 auf DVD gebrannt. Robert-Musil-Gesellschaften veröffentlichten die „Klagenfurter Ausgabe“, die auch Fortsetzung und Ende des Jahrhundertromans beinhaltet: Aus dem Nachlass zusammengefügte ausführliche Skizzen.

Welche Ausgabe man aber auch immer wählt: „Der Mann ohne Eigenschaften“ mag als sperrig gelten – ist aber auch unglaublich flüssig zu lesen: Die Überlegungen des inhaftierten Prostituiertenmörders Moosbrugger zur Psychiatrie sind unübertroffen kurzweilig (und zeitlos aktuell), die Passagen mit Protagonisten wie dem General Stumm, Bankdirektor Fischl oder Walter und dessen Frau Clarissa sind – in Kapitel verpackt – kurzweilige, oft philosophische Leseerlebnisse.