Kultur

"Der Mann ohne Eigenschaften": Robert Musil in 30 Minuten

Der international bekannte Wiener Zeichner (Nicolas) Mahler hat für den Suhrkamp Verlag Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“ reduziert und reduziert und reduziert. Viel ist nicht übrig geblieben.

Aber ein neues, sehr witziges Kunstwerk ist entstanden: Man dürstet nach einer Tat ... man erwartet ein großes Ereignis ... es passiert nichts ... vielleicht sollte man wenigstens gegen einen Sandsack boxen.

Nein, nicht heute.

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Aus diesem Anlass wird imKremser Karikaturenmuseum am 28. November die Mahler-Ausstellung „Wer alles liest, hat nichts begriffen“ eröffnet.

(Reduziertes) Gespräch mit dem 44-Jährigen.

KURIER: Sie sind einer der wenigen Menschen, die den monströsen „Mann ohne Eigenschaften“ gelesen haben.

Mahler: Manche Stellen sogar mehrere Male.

Und?

Obwohl jeder Satz für sich sprachlich toll ist: Prinzipiell ist es einfach gestrickt. Die Frau ist die Heilige und Hure, der Mann Genie oder Versager. Das wäre eigentlich die Kurzform des Romans.

Ihre gezeichnete Version bewältigt man in knapp einer halben Stunde.

Es hat mich gereizt, diese unbezwingbare Textmenge herunterzubrechen. Beim Arbeiten hat es sich dann ergeben, dass der Lesefluss umso besser funktionierte, je mehr Musil-Zitate ich gestrichen habe. Musils Sprache ist ja teilweise so bildmächtig, dass ein Bild dem Text eher geschadet hätte. Umgekehrt hätte der Text das Bild verdoppelt. Also bin ich dazu übergegangen, die Sprachbilder von Musil in Bilder zu übersetzen, die Sprache aber fast ganz rauszustreichen. Ich habe ja keine Kurzfassung gezeichnet, die geschriebene Version soll ja nicht ersetzt werden.

Bilder aus "Der Mann ohne Eigenschaften"

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Nicht einmal den berühmten Anfang „Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum ...“ haben Sie übernommen.

Es hätte auch Musils Roman nicht geschadet, einige sehr brillante Sätze zu streichen. Teilweise merkt man richtig, dass er nicht vom Fleck kommt. Aber Musil wollte nicht auf die eine oder andere Formulierung verzichten. Das ist zwar einerseits toll, andererseits für den Leser auch frustrierend. Jetzt fehlt aber noch eine Adaption aus feministischer Sicht. Seine Frauenbilder sind sehr fragwürdig.

Robert Musil gilt aber mitunter als Frauenversteher!

Das sehe ich anders. Ein Beispiel: „Eine Frau, die man nicht hat, ist so, wie wenn der Mond nachts immer höher steigt und saugt und saugt am Herzen; wenn man sie aber gehabt hat, möchte man mit dem Stiefel in ihrem Gesicht herumtreten. Warum ist das so?“ Zitat Ende. Ich bin also immer etwas skeptisch, wenn ältere Herren den „Mann ohne Eigenschaften“ als ihr Lieblingsbuch bezeichnen.

Glauben Sie, dass nach Ihrem Comic jemand Lust aufs Original bekommt?

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Dann wird man merken, dass Musil teilweise auch Humorist war. Und ein Freund des Absurden. Das ist ja nicht alles auf meinem Mist gewachsen, alle seltsamen Motive sind ja schon im Original drinnen.Und vielleicht hängt der Leser nach meiner Version in der Luft – „und was war das jetzt?“ –, dass er bei Musil nach den Lösungen sucht und die Fäden verknüpfen will, die bei mir bewusst offen sind. Ob er da Glück haben wird, lasse ich jetzt ebenfalls offen.

KURIER-Wertung:

INFO: Mahler nach Robert Musil: „Der Mann ohne Eigenschaften“ Suhrkamp Verlag. 156 Seiten. 19,60 Euro.

Vom Original sind zurzeit zwei Ausgaben erhältlich: vom Rowohlt Verlag die „klassische“ zweibändige (in 14. Auflage), 2192 Seiten um 59,70 Euro.

Und vom kleinen Kölner Anaconda Verlag die Billig-Variante auf eng bedruckten 992 Seiten um 10,30 Uhr. Dieses Buch wiegt allerdings auch ein Kilogramm.

Robert Musils Meisterstück erschien erstmals vor rund 80 Jahren. Es ist unendlich bzw. unvollendet: Bis zu seinem Tod 1942 im Schweizer Exil schrieb Musil am „Mann ohne Eigenschaften“ weiter. Das Kapitel „Atemzüge eines Sommertags“ lag auf dem Schreibtisch.

Musil hinterließ 12.000 Seiten mit 100.000 Anmerkungen, aus denen später Band zwei konstruiert wurde. Musil selbst hatte drei Bücher geplant.

Gescheitert

Selbst der niederösterreichische Germanist Jürgen Neckam scheiterte in seinem Literaturlexikon „500 Romane in einem Satz“ (DuMont Verlag) an einer Kürzestfassung. „Krieg und Frieden“ war kein Problem, aber vor Musil kapitulierte er.

Man kann (und soll) es wirklich nur andeuten: Der Philosoph und Mathematiker Ulrich, der etwas Bedeutendes werden will und mit einer Gelegenheitsprostituierten zusammen ist, nimmt „Urlaub vom Leben“: Er mischt sich im Jahr 1913 in der Hofburg unter die wichtigen Leut’: Ulrich nimmt Teil an den Planungen für eine große Aktion anlässlich des 70-Jahr-Thronjubiläums von Kaiser Franz Joseph im Jahr 1918. Nichts geht weiter, aber geredet wird. Sind Gemütsbewegungen innere Ausscheidungen? Ist Trunksucht mit dem Zwang, wissen zu müssen, vergleichbar? Ist wenigstens auf die Ichsucht noch Verlass auf der Welt?

Während Ulrich seinen Weg sucht, hat ihn der Lustmörder Moosbrugger gefunden: Er wird zum Tod verurteilt. Was zu weiteren Reflexionen und Essays führt. Denn wenn jemand nur teilweise zurechnungsfähig ist – kann man dann den ganzen Menschen bestrafen?