Der Mann als Opfer eines Seelenmordes
Von Thomas Trenkler
Eigentlich ist das Stück ein Nachhall, eine Aufarbeitung: In "Bilder von uns", 2015 geschrieben, beschäftigt sich Thomas Melle mit Missbrauch in jenem katholischen Internat, das er einst besucht hat. Erst 2010 wurden die zahlreichen Fälle von sexueller und körperlicher Gewalt, die sich zwischen 1950 und 2008 ereignet hatten, bekannt.
In Melles Stück wird Jesko durch ein Bild aus der Bahn geworfen. Das Foto, anonym aufs Handy geschickt, zeigt den Mann, nun erfolgreich in der Verlagsbranche tätig, nackt mit zwölf Jahren, noch vor der Pubertät – aufgenommen von einem Pater namens "Stein", der mit dem "Penisprügel" seine "Lieblinge" drangsalierte, erniedrigte und auch zerstörte.
Jesko macht sich auf die Suche nach dem Unbekannten und konfrontiert drei ehemalige Kollegen mit der Vergangenheit, die alle mehr oder weniger verdrängt haben, um weiterleben zu können. Nun sind sie, die starken Männer, in einer außergewöhnlichen Rolle, die ansonsten Frauen zugeschrieben wird: in der des Opfers. Mithin ist Melles Stück von peinigender Aktualität.
Für die österreichische Erstaufführung am Grazer Schauspielhaus wurden zudem die Machtverhältnisse völlig umgedreht: Das Leading Team besteht (bis auf eine Ausnahme) ausschließlich aus Frauen. Regisseurin Claudia Bossard und Dramaturgin Jennifer Weiss eliminierten Spielszenen, hielten sich vor allem an die eingefügten Kommentare des Autors – und hoben das Stück auf eine sehr abstrakte Ebene.
Auch alle Frauenrollen wurden gestrichen: In einer brutal ausgeleuchteten Box mit den Schatten der Vergangenheit (von Frank Holldack) werden nebenbei Männerrituale durchdekliniert. Jeder wählt eine andere Art, mit dem "Seelenmord" umzugehen: Jesko (Nico Link) findet keine Ruhe mehr, Malte (Fredrik Jan Hofmann) will die Medien informieren, Johannes (Mathias Lodd) bemüht sich um Harmonie – und Konstantin (Pascal Goffin im Wolfskostüm des Außenseiters) begeht Selbstmord. Heftig.