Der letzte lebende Dichter der "Beat Generation"
Von Peter Pisa
Lawrence Ferlinghetti (Foto oben) war 99 Jahre alt, als sein Agent – auch schon 97 – einen Verlag gefunden hatte, der „Little Boy“ veröffentlichte.
Das Buch ist seit Ende März auch in Amerika zu kaufen, und jetzt ist Ferlinghetti 100.
Eine schwere Geburt war das, zunächst lehnten viele Verlage ab ... obwohl der New Yorker, Sohn eines italienischen Einwanderers, ein berühmter Dichter ist. In San Francisco, wo er lebt, ist eine Straße nach ihm benannt.
Er ist der letzte Lebende der sogenannten „Beat Generation“, dieser ersten modernen literarischen Subkultur aus den 1950ern – Kerouac, Ginsberg und William S. Burroughs waren Ferlinghettis Freunde. Er leitete eine kultige Buchhandlung und einen kleinen Verlag (City Lights Books).
Fantasie
Deshalb überrascht es, weil „Little Boy“ so artig anfängt. Erzählt wird vom Buben und von Tante Emilie mit ihrer schönen Tochter Sally ...
Aber dann, nach wenigen Seiten schon, verschwinden die Satzzeichen im Roman; und explosionsartig spuckt Ferlinghetti sein Leben aus.
Ein Prosagedicht, eine Fantasie, ein Monolog, der vom Hundertsten ins Tausendste gerät und immer auch politisch ist, kapitalismuskritisch sowieso. Denn das war Lawrence Ferlinghetti immer, auch früher in seinen Gedichten, die witzig begonnen haben – und dann: Attacke!
Die einzige Handlung, der man in „Little Boy“ begegnen wird, ist: Man wird älter, es rinnt die Zeit, der Autor hat versucht, Kind zu bleiben. Es sieht so aus, als hätte er sein ganzes Leben lang an diesem einen Buch gearbeitet.
Man wird auch beim Lesen einiges zu tun haben.
Beispiel: „ABER wie ich mich jetzt erinnere an eine die ich liebte wie sie in der
Jermyn Street in einen Apfel biss und in einem blumenübersäten Rock flanierte war das nicht ein Hingucker für aufgerissene Augen und mir gingen die Augen über ... wenn nicht gar mein Herz oh was für ein Tag damals war die weißen Wolken die durch den tiefen Himmel schweben wie große Segel (usw)“
Ganz am Ende , wenn Ferlinghetti alles gesagt hat, was sich in ihm aufstaute, kehren fast unmerklich die Punkte zurück, die Rufzeichen, Kommas, Fragezeichen. Denn der Autor ist zur Ruhe gekommen.
Aber, allerletzter Satz: Die Vögel, denen er jetzt zuhört, die schreien nun nicht mehr in Ekstase, sondern aus Verzweiflung schreien sie.
Aber nicht nur die Vögel machen das. „Little Boy“ ist, man wird es rasch herausfinden, ebenfalls Verzweiflung.
Lawrence Ferlinghetti rechnet nämlich nicht nur mit seiner Auslöschung. Sondern damit, dass die ganze Menschheit bald hinüber sein wird.
Lawrence Ferlinghetti:
„Little Boy“
Übersetzt von
Ron Winkler.
Schöffling Verlag.
214 Seiten.
22,70 Euro.
KURIER-Wertung: ****