Kultur

Ein Grusical mit Herzschmerz

Nein, es geht nicht um Kärnten. Trotzdem um Milliarden. Als ausgesetztes Kopfgeld in "Der Besuch der alten Dame". Das Musical nach Friedrich Dürrenmatts Theaterklassiker im Ronacher hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck.

- Die Besetzung: erstklassig. Pia Douwes – der Star des Abends – verkörpert nicht, sie ist stimmlich, schauspielerisch und mit ihrer Bühnenpräsenz die Selfmademilliardärin Claire Zachanassian. Eine Exzentrikerin am Gehstock und eine in ihrer Seele verletzte Frau.

Uwe Kröger, ihr einstiger Liebhaber Alfred III, wirkt mehr wie ein bebrillter, schlipstragender Professor in den besten Jahren als ein Kleinkrämer aus der Provinz.

- Der Stoff: Was Dürrenmatt eine "Komödie der Hochkonjunktur" nannte, ist unvermindert aktuell. Beibehalten wurde das Grundgerüst der Geschichte des Schweizer Autors um die alte Claire Zachanassian.

Sie kommt als Milliardärin in ihren – nach dem Leitlspruch – abgesandelten Heimatort Güllen im Helikopter herbeiknattert.

Und sie verspricht den Dorfbewohnern ein Vermögen, wenn Alfred Ill stirbt, der sie einst gedemütigt und ihre Liebe verraten hat. Denn einst hatte sie ein Herz: "Aber es hat sich nicht rentiert."

Der Herzschmerz kommt in der Musical-Version nicht zu knapp ins Spiel um verratene Liebe, Schuld und Doppelmoral – als Flashbacks auf die jungen Charaktere wie im Duett "Weißt du noch".

Zuerst wird in Gummistiefeln und dann im schrillen Outfit getanzt ums goldene Kalb um den Preis der Menschlichkeit.

- Bühnenbild: Der britische Designer Peter Davison, der schon "Rebecca" ausgestattet hat, lässt fleißig die Drehbühne rotieren.

- Choreografie: gewöhnungsbedürftig. Etwa wenn sich die Güllener in "Ungeheuerlich" in konvulsiven Zuckungen über das unmoralische Angebot Claires empören.

- Musik: beliebig. Von Walzer bis Salsa, von Gstanzl bis Ballade. Aber Ohrwürmer und Zugnummern fehlen.

Die illustrative Gebrauchsmusik mit rockigen und symphonischen Elementen macht in Überlautstärke plus Bassbrummen bis in die Magengrube mehr her als dahinter steckt. Was wie ein Filmsoundtrack klingt, könnte international unter der Wahrnehmungsschwelle bleiben.

- Regie: unentschieden. Andreas Gergens Konzept ist: Bombast plus Trash plus Klamauk plus Kitsch. Eine plötzlich über die Bühne stöckelnde Dödel-Tussi muss ein Überbleibsel von "Natürlich blond" sein. Schmunzeln macht das "Trio infernal" von Claires Bodygards: "Ich war der Superstar der Hypo Alpe-Adria". Fast Szenenapplaus gab’s zur Klerikalkritik: "Die Kirche wusste immer schon, wie man eine große Show abliefert."

Gegen die Geschmacklosigkeit der "Tempel der Moral"-Szene müsste eigentlich der Diogenes-Verlag Einspruch erheben: Derlei ist sicher nicht im Sinn von Friedrich Dürrenmatt.

- Eindruck: Ein Déjà-vu in optischer und musikalischer Hinsicht erlebt, wer "Love Never Dies" von Andrew Lloyd Webber – "Das Phantom der Oper II" – im Londoner Westend sah: Auch das Comeback des Masken-Monsters wusste vor allem mit verblüffenden Verwandlungen und Lichteffekten zu beeindrucken. Aber schwächelte musikalisch.

Hier wie dort gesellen sich Pomp zu melodramatischen Gefühlsausbrüchen, der schöne Grusel zum ungenierten Griff in den Schmalztopf. In Wien heißt es: "Liebe endet nie. Liebe ist Magie." Da läuft dann bei der letzten Rückblende vor dem Unhappy End noch das Kind, das die beiden nie hatten, in die Arme der Eltern ...

Der Komponist des Musicals ist (neben Moritz Schneider) Michael Reed, jahrelang der wichtigste Mann der musikalischen Wiederaufbereitungsanlage Lloyd Webber. Erfolgreich als Arrangeur und Bearbeiter, aber weniger profiliert als Komponist.

So ist "Der Besuch der alten Dame" kein Geniestreich an Kreativität, aber die Fans von "Elisabeth" und "Rebecca" dürften am Musicalthriller ihre Freude haben.

KURIER-Wertung:

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KURIER: Vom Bühnenvorhang blickt ein glutäugiger Panther neben Yen-, Euro- und Dollarzeichen. Die Raub­katze als Sinnbild für Raubtierkapitalismus?

Christian Struppeck: So kann man das sehen. Aber die Milliardärin Claire Zachanassian kommt in "Der Besuch der alten Dame" ja mit einem schwarzen Panther nach Güllen.

Nach Friedrich Dürrenmatts Stück gibt es ja schon das Musical "The Visit" von Terrence McNally, John Kander & Fred Ebb. Letztere haben immerhin "Cabaret" und "Chicago" geschrieben. Warum haben Sie nicht darauf zurückgegriffen?

"The Visit" wurde nur kurz gespielt und leider nie groß aufgeführt. Und da ist Claire mit Chita Rivera viel älter, schon fast 80. Das wollten wir nicht. Wir hatten das Glück, eine neue europäische Produktion zu machen. Auch weil noch Dürrenmatt die Rechte getrennt vergeben hat. Der englischsprachige Raum ist abgekoppelt. Es war Zufall. Sodass der Verlag uns erlaubt hat, ein neues Stück zu machen.

Die Welturaufführung war im letzten Sommer ein Open Air in Thun in der Schweiz. Was ist neu bei der Wien-Premiere, die VBW-Direktor Thomas Drozda "große Theaterfassung" nennt?

Hier haben wir ein neues Bühnenbild, ein ganz neues Licht-Design von Mark McCoullough und noch aufwendigere Kostüme. Es wurde viel verbessert. Wir haben eine ganz neue Musiknummer, und zwei Titel wurden komplett überarbeitet.

Wie gut sind die Chancen, die "Alte Dame" in Lizenz etwa nach Japan oder Korea zu exportieren?

Man kennt das Dürrenmatt-Stück auf der ganzen Welt. Deshalb gibt es schon Anfragen. Klar würden wir das Musical gern exportieren. Es kommen bereits Interessenten zur Premiere, weil der Stoff auch in Südamerika und Asien sehr bekannt ist.

Sie betonen gern: 35 Musiker spielen bei der "Alten Dame" im Orchester. Bei "Mamma Mia" – Premiere ist am 19. März im Raimund Theater – sollen es nur zehn sein.

Ich muss Sie sogar nach unten korrigieren: Bei "Mamma Mia" spielen sieben Musiker. Aber das ist so geschrieben. Da kann man nicht einfach noch 20 dazusetzen. Überhaupt werden keine neuen Musicals mehr für große Ensembles geschrieben.

"Natürlich blond" war ein Flop und musste vorzeitig abgesetzt werden nach nur 63 Prozent Auslastung. Was war die Lehre daraus?

Man weiß vorher nie, was funktioniert und was nicht. Sonst würden ja alle nur Hits produzieren. Aber die Diskrepanz zwischen schlechten Kritiken und oft Standing Ovations bei den Vorstellungen war für mich verblüffend. Wir wollten mit der Produktion vor allem junge Leute ansprechen. Die waren auch interessiert und begeistert. Aber leider war die Nachfrage insgesamt – vor allem beim älteren Publikum und bei den Bustouristen – deutlich geringer als erhofft.

Die VBW bekamen zuletzt von der Stadt 4,9 Millionen Euro Subvention zusätzlich – allerdings befristet auf zwei Jahre. Mit Sparauf­lagen. Wo ist eine Kosten­reduktion möglich?

Diesen Auftrag nehmen wir sehr ernst. Daran arbeiten wir. Es gab ja schon erhebliche Einsparungen. Wie viel da schon möglich war, darüber war ich überrascht, als ich 2012 kam. Es ist nicht einfach: Das ist ein großes Haus, das aufwendig zu betreiben und zu bespielen ist.

Das ist das Burgtheater auch. Aber wie sieht das Zukunft­s­szenario für die VBW aus?

Daran arbeiten wir derzeit mit Generaldirektor Drozda. Ich glaube, Ende März können wir ein Ergebnis vorlegen, das dann eine Entscheidungsgrundlage sein wird für die Zukunft der VBW.

Gerüchte sprechen von einer eventuellen Schließung eines der drei Häuser – Theater an der Wien, Ronacher oder Raimund Theater?

Das wollen wir natürlich verhindern. Aber eines muss klar sein: Musical kostet Geld, wenn es auf auf einem internationalen Top-Niveau wie bei den VBW betrieben wird.

Warum war ein Haus wie das Ronacher ausgerechnet zu Silvester 2013 geschlossen und nicht in der Lage, ein Programm zu bieten und dafür Tickets zu verkaufen?

Eine berechtigte Frage. Aber da muss man ganz früh planen. Und wir haben bei unseren Produktionen immer ein Jahr Vorlaufzeit. Das ist nicht einfach mit dem Auf- und Abbau. Der Aufwand bei Musicals wird leicht unterschätzt.

Wie geht’s mit der Arbeit an den Projekten "Schikaneder" und "Der Dritte Mann"?

Da bewegt sich natürlich auch was. Aber gut Ding braucht Weile. Das geht im Hintergrund weiter. Und es macht auch Spaß, dass wir jetzt schon wieder beim nächsten Projekt sind.

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