Kultur

Der alte Meister des Orgien Mysterien Theaters – erstaunlich jung

Hermann Nitsch, gerne zum Schüttbilder malenden Wiener Aktionisten reduziert, ist der "Hang zum Gesamtkunstwerk" nicht abzusprechen – so der Titel einer Ausstellung im Museum moderner Kunst 1983. Denn ab 1957, nach dem Besuch der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt, ersann er sein allumfassendes Orgien Mysterien Theater.

Zur Aktion, in der es um Passion wie Freude, um Tod und Leben, um Extase wie Ruhe und alle Schattierungen dazwischen geht, gesellten sich Musik, Philosophie, Gerüche – und auch die Architektur: Nitsch zeichnete Gralstempel und Grundrisse für sein Theater. Als idealer Schauplatz schwebte ihm von Anfang an Schloss Prinzendorf vor. 1971 gelang ihm – dank der Unterstützung seiner Frau Beate, die wenige Jahre später verunfallte – der Ankauf. Dort fanden die großen Existenzfeste statt: 1984 das Drei-Tage-Spiel und 1998 das Sechs-Tage-Spiel.

Doch er inszenierte auch anderswo: 1995 "Hérodi-ade" von Jules Massenet in der Staatsoper, 2011 "Saint François d’Assise" von Olivier Messiaen am Nationaltheater München. Mehrfach fungierte Nitsch als Ausstatter. Und 2005 durfte er sein überbordendes OM Theater in der Burg präsentieren.

Auch wenn Nitsch im Lauf von sechs Jahrzehnten einen "Kosmos" entworfen hat: Es liegt nahe, seine Theaterarbeit in den Mittelpunkt einer Retrospektive zu rücken. Hubert Klocker, Spezialist für den Wiener Aktionismus, arbeitete als Kurator von "ExistenzFest", wie die am Mittwoch eröffnete Ausstellung heißt, den Aspekt akribisch heraus. Statt um das Gesamtkunstwerk geht es im Theatermuseum um die Synästhesie, also um die Wahrnehmung mit allen Sinnen. Im ersten Raum zeigt Klocker drei zentrale Filmdokumente: über die fünfte Aktion aus dem Jahr 1962 (Nitsch schüttet mit enormer Geschwindigkeit), über das Requiem für Beate in Bologna 1977 und über das Spektakel im Burgtheater. In der Folge stößt man auf vielerlei Partituren, Grafiken, Artefakte, Farbkompositionen, Architekturzeichnungen, Kostümentwürfe und so weiter.

Eigens für die bis 11. Jänner 2016 laufende Ausstellung entstand eine komplexe Video-Installation (visuelle Gestaltung: Frank Gassner): Auf den vier Wänden eines quadratischen Raums flimmern sich überlagernde, farblich verändernde Sequenzen. Der alte Meister – erstaunlich jung.