David Grossman: Nur einige bleiben sitzen und hören zu
Von Peter Pisa
Der Witz, der im Buchtitel "Kommt ein Pferd in die Bar" beginnt, wird nicht fertigerzählt.
Das Pferd bestellt Bier vom Fass und Arrak und Whisky und Wodka, und es ist egal, ob es mit ihm ein Ende zum Lachen hätte. Es wäre halt eine weitere Atempause für unsereins gewesen.
Der Spaß mit den vertauschten Köpfen in der Leichenhalle oder jener mit der Schnecke, die von zwei Schildkröten überfallen wird, die sind ja auch nicht zum Schießen.
Aber man dankt dem Witzeerzähler für die barmherzigen Unterbrechungen in seinem Vortrag; bzw. David Grossman (Bild) dankt man.
"Kommt ein Pferd in die Bar" ist der neue Roman des israelischen Schriftstellers: neun Jahre nach dem Tod seines Sohnes Uri, Soldat im Libanon, im Panzer getroffen von einer Rakete; und neun Jahre nach dem Buch "Eine Frau flieht vor einer Nachricht" über Verlust und Trauer, das mit verzweifelter Menschlichkeit geschrieben wurde.
Im Theater
Die ist auch jetzt zu spüren; und wieder hat man ein großes Gefühl (unter so vielen Gefühlen, die ausgelöst werden: Ekel, Mitleid, Zorn ...): dass man hier beim Lesen etwas erlebt, das einem nur alle paar Jahre passiert.
Wir sind im Theater einer israelischen Kleinstadt. Ein schicksalshafter Auftritt steht bevor. Eine Beschwörung. Es gibt Tische, Bier wird bestellt, Oliven, da fliegt ein "mickriges, bebrilltes Männlein" auf die Bühne. Wie hingeschmissen:
Dovele G., jüdischer Komiker, 57 Jahre alt. Ein Leben lang hat er sich mit bitterem Humor durchgeschleppt. Er provoziert und macht sich schlecht.
Diesmal will er etwas erzählen. Aus der hintersten Nische seiner Seele holt er hervor, was ihn traumatisiert hat, als er 14 war. Die Zeit ist reif dafür. Es ist die Geschichte seines erstes Begräbnisses. Er war auf einem militärischen Jugendcamp, der Zugführer befahl: Man führe den Buben nach Jerusalem zum Friedhof ... aber niemand hat ihm gesagt, wer gestorben ist. Vater? Mutter?
Wäre ihm der tote Vater lieber gewesen? Er redet und schlägt sich so fest ins Gesicht, dass die Zähne knirschen. Er bestraft sich.
Immer mehr Leute im Publikum schimpfen, denn lachen wollen sie, lachen und sonst nichts. Sie gehen fort.
(Und selbst?)
Nur einige bleiben, Frauen vor allem. Sie fühlen sich verantwortlich für einen verwundeten Mitmenschen.
Unter ihnen ein pensionierter Richter, der in der Jugend ein Freund von Dovele war. Ein schlechter Freund.
Er bekommt die Chance, Jahrzehnte später ein guter Freund zu sein. Grossman weiß: So eine zweite Chance, die’s im Leben nur selten gibt, ist ein Geschenk der Literatur. Und er, David Grossman, ist es sowieso.
David Grossman:
„Kommt ein Pferd in die Bar“
Übersetzt von Anne Birkenhauer.
Hanser Verlag. 251 Seiten. 20,50 Euro.