Das überdimensionale Sprachbastelbuch
Von Georg Leyrer
Mit tragbaren Leuchtbuchstaben kann man in der Linzer Nacht wahrlich allerlei lustige – und allerlei ernste Texte bilden. "Sexy", etwa. Oder "Free Pussy Riot". Oder den Beginn der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Das ist auch ungefähr die inhaltliche Spannweite, die die Linzer Klangwolke am Samstag bot: Zu eindrücklichem Robotertanz, innovativem Minihubschrauber-Ballett und groß dimensioniertem Lichtspiel-Theater wurde in braver Volkshochschul-Manier die Mediengeschichte erzählt. Ein Spagat, der sich nicht ausgegangen ist.
Mitmach-Wolke
90.000 Besucher waren es laut Veranstalter, die sich – mit rund 5000 bunt gestalteten Leuchtbuchstaben ausgerüstet – am Donauufer einfanden. Heuer war es mit Zuschauen allein nicht getan: Das Publikum war Teil der Klangwolke, die erstmals von der Ars Electronica selbst gestaltet wurde. Die Leuchtbuchstaben wurden via Internet angesteuert, ihre Träger wurden so zum Teil verschiedener Botschaften. Dann galt es, mit dem Handy den Nachbarn zu fotografieren – es sollte das größte Gruppenfoto der Welt entstehen. Im Anschluss ging die eigentliche Klangwolke los, die in Einzelbildern durchaus beeindrucken konnte.
Die Fassade des Ars Electronica Centers wurde zum Fernseh-Testbild, über dem Pöstlingberg waberten unheimliche Lichter, Drohnen formten über der Donau ein riesiges Big-Brother-Auge und tanzten später zum Donauwalzer mit Electro-Beat. Da vergaß man auch, sich zu fragen, warum die Groß-Hubschrauber schon eine halbe Stunde vor Beginn ihre Runden drehten.
Gegen Ende dann, als man nach Morsecode, Vierteltelefon und Fernsehen beim Internet angekommen war, wurde es sozialkritisch: Mit haushoch projizierten Anonymous-Masken und dem Slogan der Occupy-Bewegung, "Wir sind die 99 Prozent", wurde die politische Seite des Internet betont. Zum (etwas abrupten) Schluss gab es Blaulichtspiele am Urfahraner Ufer. Das Publikum ging merkbar zögerlich ab – nein, es kam kein Feuerwerk. Dieser traditionell beliebte Klangwolken-Fixpunkt war aber nicht das Einzige, was heuer fehlte: Denn die mediale Revolution ist ungleich spannender, als die Klangwolke erahnen ließ.