Das Phantombild von Klimts Mutter
Von Thomas Trenkler
In der Wohnung von Gustav Klimt in der Westbahnstraße hing ein hochformatiges Bildnis, das der Künstler 1898 von seiner innig geliebten Mutter Anna angefertigt hatte. Nach dessen Tod 1918 blieb das Porträt in Familienbesitz, im März 1938 ging es in das Eigentum von Klimts jüngster Schwester Johanna, verheiratete Zimpel, über.
Ein Jahr vor Ende des Zweiten Weltkriegs, am 20. März 1944, übergab sie den Städtischen Sammlungen (heute Wien Museum) das Bildnis zusammen mit fünf weiteren Werken der Brüder Gustav und Ernst Klimt zur sicheren Verwahrung: Die NS-Gemeindeverwaltung übernahm zwar "keine ausdrückliche Haftung", versicherte aber, ihnen "die gleiche Sorgfalt wie den eigenen Beständen angedeihen" zu lassen.
Große Enttäuschung
Man verbrachte die Werke nach Seefeld ins Schloss Hardegg. Als sich das Leben wieder normalisiert hatte, erbaten die Zimpels ihre Bilder zurück. Doch sie bekamen am 6. September 1949 lediglich das Porträt des Vaters von Ernst Klimt und eine Heliogravüre des Burgtheaters der Brüder Klimt ausgehändigt. Der Familie wurde geraten, sich nicht zu beschweren – "wegen der Besetzung", konkret, der Russen.
Johanna Zimpel starb 1950, ihr Sohn Rudolf Zimpel wollte sich mit dem Ergebnis nicht zufrieden geben. Denn es fehlten ja – neben dem Bildnis Anna Klimt – ein Porträt, das Gustav Klimt von seiner Schwester Klara Klimt angefertigt hatte, und zwei Aquarelle von Ernst Klimt.
Die Verhandlungen mit den Städtischen Sammlungen, die nun Historisches Museum der Stadt Wien hießen, zeitigten keine Ergebnisse. Am 25. August 1958 bat Zimpel das Bundesdenkmalamt (BDA) um Rat. Es sei interessant, "dass die Gemeinde Wien kein einziges Werk verloren hat", schrieb er, "während die Kiste, in der unsere Bilder waren, aufgebrochen war". Zudem erstattete er Anzeige gegen unbekannt.
Keine Überraschungen
Das BDA fragte beim Museum nach, und dieses antwortete am 25. Juli 1959, dass "alle Gegenstände von fremden Besitzern, soweit diese bekannt waren, längst zurückgegeben" worden seien. Die Klimts seien "vermutlich im Schloss Hardegg-Seefeld verloren gegangen", Überraschungen "nicht mehr zu erwarten, da der gesamte Bestand gesichtet ist".
Ein paar Jahre später, 1966, gab es doch eine Überraschung: Drei der Bilder wurden im Keller von Schloss Eggenberg in Graz gefunden und Rudolf Zimpel übergeben. Nun fehlte nur noch das Bildnis von Anna Klimt. Und es fehlt bis heute.
Aufgrund der Ausstellung "Klimt, Schiele, Kokoschka und die Frauen", die am 21. Oktober eröffnet wird, ging Alfred Weidinger, Vizedirektor des Belvedere, noch einmal allen Spuren nach. Von den Klimt-Erben erfuhr er, dass Rudolf Zimpel in den späten 1960er-Jahren auf eine Zeitungsannonce gestoßen war: Die Galerie 10 von Manfred Scheer am Getreidemarkt bot, wie es schien, das Bildnis zum Kauf an. Zimpel wandte sich, so Weidinger, an die Galerieleitung – erfolglos.
Antlitz einer Matrone
Über das Porträt wissen wir nicht viel. Sicher ist, dass Klimt es 1903 in der Secession präsentierte. Franz Servaes schwärmte: "Ein Bild der Ehrfurcht und der Sohnesliebe!" Laut Rosa Poor-Lima würden Kleid und Hintergrund – "schwarzglänzende Seide auf schwarzem Grund" – ineinander fließen: "Nur die blassen Hände, die übrigens nicht ganz vollendet sind, brechen aus dem Dunkel. Das Licht konzentriert sich auf das weiße Antlitz der Matrone, auf ihre herrlichen Augen, die Züge voller Seelengüte und Mütterlichkeit."
Damals wurde auch eine Reproduktion angefertigt – aber nur des Gesichts von Anna Klimt. Weidinger, ein investigativer Kunsthistoriker, fand heraus, dass die Skizze "Sitzende alte Frau" in der Albertina eine Vorstudie zum Bildnis ist. Er kombinierte das Foto mit den Umrisslinien der Zeichnung – und erhielt ein Phantombild. Der KURIER präsentiert es exklusiv. Dieses Bild wird auch im Magazin des Belvedere veröffentlicht: Weidinger hofft, dass sich die Besitzer melden. Sachdienliche Hinweise bitte an: