Kultur

Von Pentagrammen und Elefanten-Babys

Dieser eine Baum in einem Wäldchen bei seinem Heimatdorf Aldham östlich von London hatte es Damon Albarn als Teenager angetan. Wenn die Glockenblumen blühten, führte er seine Freundinnen dorthin. Er saß drunter, wenn er las, und vergrub so manches Andenken an diesem Kraft-Platz.

Eines Tages – Albarn war 18 – fand er ein aus Holz gezimmertes Pentagramm am Boden rund um den Stamm. Ein okkultistisches Symbol, das ihn damals "zu Tode erschreckte".

Alle Inhalte anzeigen

Das ist nur eine der Jugenderinnerungen, zu denen der heute 46-Jährige für sein Solo-Album "Everyday Robots" zurückgekehrt ist. "Auf der Platte geht es um mein Heranwachsen zuerst in London und später am Land. Und um die Qual, mit Tradition und der Moderne klarzukommen", erzählte der Sänger der Wochenzeitung Die Zeit. Wobei sich diese Themen eher aus der Wahl des Produzenten als einem spät erwachten Selbstdarstellungsdrang ergaben.

Richard Russell hatte mit Albarn das Comeback-Album von Bobby Womack produziert. Die beiden waren sich so sympathisch, dass sie weiter miteinander arbeiten wollten. Aber woran? Es war Russell, der vorschlug, Albarns erstes Solo-Album zu produzieren – seine erste "sehr persönliche Platte". Denn bis dato hatte sich der vielleicht kreativste Musiker der britischen Szene erst hinter Blur und dann hinter der virtuellen Band Gorillaz versteckt, die er mit seinem Freund, dem Comic-Zeichner Jamie Hewlett, erfunden hatte.

Oper

Er schrieb eine chinesische und eine englische Oper, arbeitete mit afrikanischen Musikern und gründete mit Paul Simonon von The Clash die Band The Good, The Bad And The Queen.

Alle Inhalte anzeigen

Mehr als vierzig Millionen Alben hat er so verkauft. Aber Einblicke in sein Leben gewährte er damit nur selten. "Everday Robots" setzt dem ein Ende. Albarn singt über die Kindheit, seine Faszination mit Magie und im bedrückenden "You And Me" über die vor Jahren überwundene Heroinsucht. Er widmet das verspielte Beinahe-Kinderlied "Mr. Tembo" einem verwaisten Elefanten-Baby, das er einst in Tansania getroffen hat. Und macht sich Gedanken über die Entwicklung der Liebe in einer Langzeit-Beziehung.

Das Beste aber an "Everyday Robots" ist die Souveränität, mit der Albarn heutzutage das Pop-Genre bereichert. Man hört Einflüsse aus aus britischer und afrikanischer Folk-Musik, aus Gospel, dem Jazz und der Klassik. All das unterfüttert Albarn so raffiniert und dezent mit experimenteller Elektronik, dass die nur mächtig Atmosphäre schafft, aber nie die Macht an sich reißt.

Der Fokus bleibt ganz auf den Songs, den Erzählungen und den Melodien, die sich – obwohl sofort einnehmend – immer gebräuchlichen Wendungen entziehen.

So hat Albarn ein wunderbares Album geschaffen, das höchst variantenreich ist, höchst intelligent und clever aufgebaut – und trotzdem zu 95 Prozent direkt ins Herz trifft.

KURIER-Wertung: