Kultur

"Ich lebe derzeit in meiner Luftblase"

Wochenlang war Conchita Wurst alias Tom Neuwirth auf Promo-Tour quer durch Europa. Jetzt probt sie beim Eurovision Song Contest in Kopenhagen intensiv für ihren Auftritt im zweiten Semifinale (Donnerstag, ab 20.15 Uhr in ORFeins). Ein Gespräch mit der Kunstfigur Conchita Wurst.

kurier.tv: Ihre Nominierung durch den ORF hat ein breites Spektrum an Reaktionen ausgelöst: Freude, Hass-Tiraden und sogar Morddrohungen. Wie gehen Sie damit um?

In Zeiten von Facebook ist man natürlich schnell dran an Reaktionen. Das ist für Künstler wie eine Droge, weil man ja sofort wissen will, wie das Produkt ankommt. Zu Beginn habe ich es mir wirklich angetan, das zu lesen. Damit hab’ ich aber schnell aufgehört. Konstruktive Kritik sehr gerne, alles andere ist nur Zeitverschwendung.

Das heißt, Sie schaffen es jetzt, sich vor Beschimpfungen innerlich abzuschirmen?Ganz genau. Seit der Entscheidung im September, dass ich zum Song Contest fahre, lebe ich sozusagen in meiner Luftblase. Und da ist es wahnsinnig schön!

In Weißrussland gab es dann sogar eine Aktion, man möge Ihnen die Teilnahme am Song Contest verbieten ...Ja, zu Beginn wollten sie’s mir verbieten. Der zweite Schritt war eine Petition, dass man ein Blackout machen muss, während ich auftrete. In Weißrussland heißt es in etwa, ich sei der Schmelztiegel der Sodomie. Was für ein Titel! Oder – den Spruch hätt’ ich gern mal als Bauchbinde!

Da können Sie ja nur hoffen, dass Sie in Kopenhagen Ihr Zimmer nicht mit dem Kandidaten aus Weißrussland teilen müssen.

Ach, das wäre gar kein Problem. Der weißrussische Kandidat ist ein ganz lieber Mensch, den habe ich kürzlich in Amsterdam kennengelernt. Es sind ja in keinem Land alle Menschen tolerant oder intolerant. Aber bei Intoleranz frage ich mich, wie sehr können sich Menschen mit Dingen beschäftigen, die sie nicht leiden können? Das ist für mich ein bisschen unverständlich. Ich mag zum Beispiel Miley Cyrus nicht, deswegen gehe ich aber auch nie auf ihre Facebook-Seite.

In den letzten Wochen haben Sie europäischen Medien an die 400 Interviews gegeben. Ist das nicht recht entnervend?

Nein, das ist überhaupt kein Problem. Ich rede ja wahnsinnig gerne, und ich rede auch sehr gerne über das, was ich tue. Und bei so einer Tour bewegt man sich ja in einem geschützten Ambiente. Da kommen Leute, die mich sehen und hören wollen, und ich freue mich sehr darüber.

Sie treten in Kopenhagen mit dem Song "Rise like a Phoenix" an, hatten Sie die Möglichkeit, sich an der Auswahl zu beteiligen?

Ja, oh Gott! Eine Möglichkeit, das wäre ein bisschen untertrieben! Ich glaube, ich habe mit diesem Lied "Rise like a Phoenix" alle in den Wahnsinn getrieben. Das war so: Es gab aus ganz Europa 100 Einsendungen von Liedern. Es war Mitte Jänner, da hatten wir im Team schon mit einigen Songs sehr geliebäugelt, als "Rise like a Phoenix" per email bei mir eingetroffen ist. Mein erster Gedanke war, ich habe mich eh schon entschieden, das brauch’ ich gar nicht mehr anzuhören. Aber dann hab’ ich es doch gemacht.

Hat Ihnen der Song auf Anhieb gut gefallen?

Beim ersten Anhören habe ich nur geweint. Auch, weil er von der Pilot-Sängerin so gut gesungen war. Das Arrangement klang zwar furchtbar, weil halt alles aus dem Computer war – wie eben so ein Demo ist. Aber trotzdem wusste ich sofort, dass das mein Lied ist. Ich hatte ja schon zu "Starmania"-Zeiten einige Songs aufgenommen, auch "That’s What I Am", das war eine großartige Nummer. Aber "Rise like a Phoenix", das bin zu 150 Prozent ich!

Und wieso trägt Conchita den Familiennamen "Wurst"?

Der sagt genau, was ich damit ausdrücken will: Es ist egal, wie man aussieht oder woher man kommt, und wenn man eine Frau mit Bart sein will, darf man das. Ohne Diskriminierung.

Semifinale 1 und 2. Alle Live-Übertragungen aus Kopenhagen sind in ORFeins zu sehen. Sie starten am Dienstag um 21.00 Uhr mit dem ersten Semifinale (Songs 1 bis 5); ab 21.30 Uhr werden die Songs 6 bis12, ab 22.00 Uhr 13 bis 16 präsentiert. Ab 22.45 sind jene zehn Songs nochmals zu erleben, die den Sprung ins Finale geschafft haben. Am Donnerstag zeigt ORFeins um 20.15 die Dokumentation "Conchita – ihr Weg nach Kopenhagen". Anschließend, um 21.00 Uhr, startet das zweite Semifinale in gleicher Abfolge wie das erste. Conchita Wurst tritt um 21.30 Uhr mit Startnummer sechs auf.

Das Finale findet am nächsten Samstag, 10. Mai, ab 21.00 Uhr statt. Dabei treten neben den 20 Qualifizierten aus den Semifinale-Runden auch die Vertreter aus den kräftigsten Beitragszahler-Ländern der European Broadcasting Union an.

In 58 Jahren haben sich die Regeln des Eurovision Song Contest immer wieder geändert - mal gab es kleine, mal größere Reformen. Nur eines ist seit immerhin 1975 gleich geblieben: Alle Teilnehmer hoffen auf die Höchstwertung zwölf Punkte. Eine kleine Regelkunde für das ESC-Finale 2014:

- Einen garantierten Startplatz im Finale haben die größten Geldgeber und der Titelverteidiger. 2014 zählen zu diesem Kreis sechs Länder: Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien und Italien als "Big Five"-Länder sowie Dänemark als Titelverteidiger und Gastgeber.

- Der Wettbewerbssong darf nicht länger als drei Minuten sein. Politische Botschaften etwa auf T-Shirts oder Bannern, per Handzeichen oder verbal sind verboten. Dabei dürfen maximal sechs Menschen, aber keine Tiere auf der Bühne stehen.

- Alle 37 Länder, die beim diesjährigen ESC teilnehmen, sind beim Finale stimmberechtigt - auch die, die bereits in den Halbfinals ausgeschieden sind.

- Die Zuschauer können erst dann für ihren Favoriten anrufen oder eine SMS schicken, wenn alle 26 Finalisten gesungen haben.

- Die Zuschauerwertung wird mit der Jury-Wertung verrechnet (50:50) und daraus wird eine Ländergesamtnote gebildet. In den Jurys sitzen je fünf Musikexperten aus den jeweiligen Nationen.

- Die Länderwertungen werden in gewohnter Manier vorgetragen: Die ESC-Moderatoren schalten in die jeweiligen Länder, wo ein Auserwählter die drei Höchstwertungen von acht, zehn und zwölf Punkten verliest. Die Punkte eins bis sieben werden lediglich auf der Punktetabelle eingeblendet.

- Der Sieger des Wettbewerbs steht gegen Mitternacht fest. Sollten mehrere Teilnehmer die gleiche Punktzahl haben, dann gewinnt der, der häufiger die Höchstwertung von zwölf Punkten bekommen hat. Sollte es immer noch einen Gleichstand geben, geht es weiter mit der Anzahl der Zehn-Punkt-Nennungen, der Acht-Punkt-Nennungen usw.

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Das Starterfeld beim 59. Eurovision Song Contest, der von 6. bis 10. Mai 2014 in Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen über die Bühne gehen wird:

1. Halbfinale (6. Mai 2014)

Startplatz

Land

Interpret

Titel

1

Armenien

Aram Mp3

Not alone

2

Lettland

Aarzemnieki

Cake to bake

3

Estland

Tanja

Amazing

4

Schweden

Sanna Nielsen

Undo

5

Island

Pollapönk

No Prejudice

6

Albanien

Hersi

One Night's Anger

7

Russland

Tolmatschowa-Schwestern

Shine

8

Aserbaidschan

Dilara Kazimova

Start a Fire

9

Ukraine

Marija Jaremtschuk

Tick-Tock

10

Belgien

Axel Hirsoux

Mother

11

Moldawien

Cristina Scarlat

Wild Soul

12

San Marino

Valentina Monetta

Maybe

13

Portugal

Suzy

Quero ser tua

14

Niederlande

The Common Linnets

Calm after the Storm

15

Montenegro

Sergej Cetkovic

Moj Svijet

16

Ungarn

Kállay-Saunders

Running

2. Halbfinale (8. Mai 2014)

Startplatz

Land

Interpret

Titel

1

Malta

Firelight

Coming Home

2

Israel

Mei Feingold

Same Heart

3

Norwegen

Carl Espen

Silent Storm

4

Georgien

The Shin & Mariko

Three Minutes to Earth

5

Polen

Donatan & Cleo

My Słowianie (We are Slavic)

6

Österreich

Conchita Wurst

Rise Like a Phoenix

7

Litauen

Vilija Mataciunaite

Attention

8

Finnland

Softengine

Something Better

9

Irland

Can-Linn feat. Kasey Smith

Heartbeat

10

Weißrussland

Teo

Cheesecake

11

Mazedonien

Tijana Dapcevic

To the Sky

12

Schweiz

Sebalter

Hunter of Stars

13

Griechenland

Freaky Fortune feat. Risky Kidd

Rise Up

14

Slowenien

Tinkara Kovac

Round and Round

15

Rumänien

Paula Seling & Ovi

Miracle

Finale (10. Mai 2014)

Jeweils noch ohne fixierten Startplatz:

Deutschland

Frankreich

Großbritannien

Italien

Spanien

Dänemark