Claus Gatterer: Eine Kindheit in Südtirol
Von Peter Pisa
Die "schöne Welt" ist klarerweise das Dolomitendorf Sexten. Aber es sind keine "bösen Leut’", über die Claus Gatterer geschrieben hat. Es sind bloß Menschen, die ganz schön durcheinander geraten sind, als Südtirol 1919 zu Italien kam.
"Versteckt’s Österreichische!" schrie die Großmutter, als sie sah, wie italienische Finanzer in Richtung Hof marschierten.
Österreich war verboten.
Alles wurde versteckt, der Schnupftabak, den man über der Grenze in Villgraten gekauft hatte, das Feuerzeug, sogar die Schnapskarten. Denn auch die Schnapskarten brauchten einen italienischen Stempel. Eigentlich.
Der alte Sonner, ein grauer Bauer, dem im Krieg das Haus zerschossen wurde, hat sich in den Wirrnissen eine eigene Logik zurechtgelegt: "Dass wir den Krieg gewonnen haben, weiß jedes Kind. Aber dass wir gleich ganz Italien bekommen würden, das hätte ich mir nicht gedacht!"
"Schöne Welt, böse Leut" erschien erstmals 1969 im Molden Verlag. Der Südtiroler Claus Gatterer (1924– 1984) war Publizist, außenpolitischer Kommentator und im Zweifel aufseiten der Schwachen.
Die Kindheitserinnerungen aus Sexten (20 Jahre lang MUSSTE der Ort Sesto in Pusteria heißen) machten ihn zum Literaten. Sein ORF-Magazin "teleobjektiv", in der Junge wie Peter Huemer, Robert Dornhelm, Elizabeth T. Spira lernten, startete 1974 und lief bis zu Gatterers Tod.
"Schöne Welt, böse Leut" ist ein zeitgeschichtliches Buch, das von etwa 1929 bis zur Frage reicht, ob die Südtiroler "da bleiben" oder ins "Reich" wollen.
Es sind die kleinen Geschichten vom heimatlosen Maurer und vom kaisertreuen Großvater, die – so Claus Gatterer – die wahre Geschichte ausmachen.
Denn: "Die große Geschichte, die von Mussolini, Dollfuß und Hitler erzählt, von Päpsten und Parteisekretären, von Kämpfern und Generälen, ist verzerrt, falsch, erlogen wie das Bild einer Landschaft, die Sie auf der Autobahn durcheilen ..."
Claus Gatterers Wahrheiten sind nicht nur zumutbar, sondern menschlich. Sehr menschlich.
Claus Gatterer:
„Schöne Welt, böse Leut“
Mit einer Nachbemerkung von Arno Dusini.
Folio Verlag. 432 Seiten.
25 Euro.