Kultur

In welche Richtung kann man noch reiten?

Butcher’s Crossing ist mehr als ein Nest im sogenannten "Wilden Westen", der vielleicht ja nur eine Erfindung vom faden Osten war.

Butcher’s Crossing ist auch jene Kreuzung, an der die butcher, die Schlächter Amerikas, stehen und nicht die Richtung wissen.

Es ist das Jahr 1873, Schienenteile liegen im Präriegras, vielleicht kommt einmal die Eisenbahn hierher. Dann würde es Geld geben. Dann müsste der Friseur nicht mehr in einem Zelt die Haare schneiden.

Die Büffel sind fast alle erschossen worden, nur wegen der Felle ... für die ein Jäger in guten Zeiten drei, vier Dollar pro Stück bekommen hat.

Aber mit den Biberfellmützen war das ja genauso. Irgendwann hatte es jeder satt, so auszusehen wie der Lederstrumpf.

Also fielen die Preise auf Null.

Und irgendwann wollte niemand mehr einen Mantel aus Büffelfell tragen. Unter uns: Der hat gestunken, dagegen war nichts zu machen ...

So geht Wirtschaft.

Auch davon handelt – dritte Bedeutung – der Roman "Butcher’s Crossing" des texanischen Literaturprofessors John Williams (1922–1994), der kettenrauchend immer am Boden blieb – so in der Art: Okay, ich schreibe zwar Bücher. Aber wenn sich’s ergeben hätte, wäre ich halt Installateur geworden, völlig egal ...

Der Unterschied

Fünf Jahrzehnte nach Erstveröffentlichung in den USA hatte Williams’ "Stoner" in Europa für Gefühlsausbrüche gesorgt.

Man warf beim Lesen einen Blick zurück: Da war nichts. Und einen Blick nach vorn: Da kommt nicht mehr viel.

Der KURIER wählte das Buch vom langsamen Sterben eines leidenschaftlichen Herzens zum wichtigsten Roman 2013.

Klar, dass der Münchner Verlag dtv auch Williams’ Western veröffentlicht. Ist "Butcher’s Crossing" (1960) so gut wie "Stoner" (1965)?

Ja. Nur ist ein großer Unterschied: Es geht nicht so nah. Man leidet nicht mit, wenn ein Harvard-Student auszieht, um die Natur zu spüren, das Wilde, sich selbst demnach ... und deshalb eine Jagd in den Rocky Mountains finanziert, wo in einem versteckten Tal noch Tausende Büffel grasen.

Und nicht weglaufen, sondern sich abknallen lassen. Kopfschuss (genau wie die Typen, die sie ausrotten und sich dann wundern, dass nichts da ist, wovon sie leben könnten).

Zunge waschen

"Butcher’s Crossing" ist voller Symbole. Ein Schrei gegen Gierige. Ein Lied über den schlussendlich aussichtslosen Kampf gegen die Natur.

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Aber vor allem beweist Williams, wie wunderbar weit eine Abenteuergeschichte die Leser forttragen kann – wenn jemand zu erzählen versteht, wie verdurstenden Pferden mit den letzten Wassertropfen die Zunge gewaschen wird.

Wenn die Büffel schnell gehäutet werden, damit sie "schön weich" sind, Wenn ihre Mörder bei den Kadavern überwintern müssen. Wenn sie dann in die Stadt zurückkommen und nichts mehr so ist, wie es war.

Wohin kann ein solches Amerika noch reiten? Zur Bahnstation; und weg.

KURIER-Wertung:

INFO: John Williams: „Butcher’s Crossing“ Übersetzt von Bernhard Robben. dtv. 368 Seiten. 22,60 Euro.