Wiederentdeckt: Der Bär macht nicht mehr Angst als ein Mann
Von Peter Pisa
Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Lou nur träumt. Der Bär, der zu ihr ins Haus darf und mehrere Male Sex mit ihr hat, ist ein Bär ist ein Bär.
Man erfährt, wie er riecht. Und was genau er macht. Von der kanadischen Schriftstellerin Marian Engel (1933 – 1985, Foto oben) ist dazu ein Interview überliefert: Ihr ging es darum, ganz realistisch zu erzählen. Nichts mit Fantasie.
Im erhellenden Nachwort dieses 45 Jahre alten Romans schreibt die Hamburger Autorin Kristine Bilkau: „Ein Bär macht Lou nicht mehr Angst als ein Mann. Warum sollte er auch? Das größte Risiko für eine Frau bleibt ihr – menschlicher, männlicher – Partner oder Expartner.“
Obwohl es hintereinander mehrere deutsche Ausgaben gab, bei Rowohlt und im Schweizer Unionsverlag, und alle längst vergriffen sind, ist „Bär“ fast eine geheim gebliebene feministische Geschichte über die seltsame, aber gelungene Befreiung einer Frau.
Einer Bibliothekarin, schüchtern und weltabgewandt zunächst.
Jede Woche kommt der Chef zu Lou ins Büro, sie schlafen am und auf dem Schreibtisch miteinander, freudlos, routiniert. Es ist offensichtlich ihr einziger Kontakt mit anderen.
Im Pelz
Dann der Auftrag: Eine Privatbibliothek wurde geerbt, Lou soll Bestandsaufnahme machen. Die Bücher sind in einem Haus auf einer einsamen Flussinsel im Norden Kanadas. Zum Haus gehört ein angeketteter Bär. Den muss sie füttern.
Ein freundlicher alter Bär mit traurigen Augen. Trotzdem könnte er mit einem Prankenhieb jemandem den Kopf abschlagen. Tut er aber nicht. Lou mag ihn und riskiert es, mit ihm spazieren und schwimmen zu gehen.
„Sie griff in seinen dicken Pelz, und je tiefer sie hineinfasste, desto größere Tiefen taten sich auf.“
Es ist wie ein verbotenes, nahezu unangenehmes Volksmärchen. Lou liebt den Bären, sagt sie. Er tut ihr gut. Die Natur tut ihr besser – bis es sie zurück in die Menschenwelt zieht; diesmal nicht schüchtern.
Der Bär liebt Lou bestimmt nicht. Sie erregt ihn nicht. Der Bär ist ein Bär. Er war zu Diensten, vor allem, wenn Honig im erotischen Spiel war. Danach drehte er sich um, wackelte auf seinen Platz zurück, furzend – aber gut, das ist kein alleiniges Merkmal der Bären.
Marian Engel:
„Bär“
Nachwort von
Kristine Bilkau.
Übersetzt von
Gabriele Brösske.
btb.
208 Seiten.
20,95 Euro
KURIR-Wertung: ****