Vom Wind verweht: Kein Rassismus und auch kein „e“ mehr
Von Peter Pisa
Es ist ja nicht nur das „e“, das jetzt weg ist.
Wind(e): Der Buchstabe als Symbol für Poesie, die im neu übersetzten Roman von Margaret Mitchell fehlt – nein, sie fehlt niemandem: Nüchternheit schärft den Blick.
Man muss „Vom Wind verweht“ trotzdem nicht mögen, aber: Das ist mehr als eine Schmonzette, und Scarlett O’Hara zeigt sich endlich so, dass man wirklich nicht, wie seinerzeit, schwärmen kann: Meine Heldin ...
Sie ist unerträglich.
Rassistisch klingt das Buch nur, weil Amerikanischer Bürgerkrieg herrscht und auf Baumwollplantagen Sklaven arbeiten. Stellung bezogen hat Mitchell (1900 – 1949) nicht.
„Ihr“ Rhett Butler ist immerhin höflich zu den schwarzen Arbeitern und macht sich über die Nachthemden vom Ku-Klux-Klan lustig.
Kein Sklave spricht mehr so: „Ich wollen alles für Sie tun.“ Dafür hat Andeas Nohl gesorgt – die Übersetzungen des Deutschen von „Tom Sawyer“ und „Huckleberry Finn“ lösten Freudenschreie aus: Er nimmt das Gekünstelte, er bleibt authentisch, er ist niemals g’scheiter als die Autoren ...
KURIER: War die Übersetzung Ihre Idee? Andreas Nohl: Ja, ich wollte den Roman aus der Liebeskitsch-Ecke herausholen und zeigen, dass es sich um einen weit unterschätzten Roman handelt, der ja gerade mit vielen Klischees bricht. Zugleich ist er ein Entwicklungs-, ein Anti-Kriegsroman aus weiblicher Sicht und ein Emanzipations - bzw. ein Desillusionsroman.
Rassistische Sprache wurde entfernt, aber „Nigger“ kommt in den Gesprächen von Schwarzen und Rassisten gut 80 Mal vor.
Der Begriff dokumentiert das Unrecht, das sich in der Sprechweise der Rassisten eingelagert hat und nun selbst die Sprechweise der Schwarzen mitbestimmt. Diesen authentischen historischen Aspekt konnten und wollten wir Übersetzer nicht unterschlagen. Es geht also um die historische „Wahrheit“ der geschilderten Situationen. Margaret Mitchell hat übrigens selbst darauf hingewiesen, wie wichtig es ihr sei, niemanden – und vor allem keine Afroamerikaner – zu verletzen. Übrigens sprechen sich auch heute noch Afroamerikaner im Streetslang zuweilen als „Nigger“ an.
Hingegen kommt das Unwort „Neger“ bei Ihnen nicht mehr vor – im Gegensatz zur ersten Übersetzung ins Deutsche, 1937.
Weil das N-Wort heute stark rassistisch gefärbt ist, wurde es von uns im Erzähltext durch „Schwarze“ bzw. „Sklaven“ ersetzt. Die Sprache sowohl in den USA als auch in Deutschland war vor 83 Jahren in dieser Hinsicht noch anders strukturiert. Aber eine Neuübersetzung bietet eben die Chance, ein Buch auch in dieser Hinsicht von seiner Geschichte zu entlasten, ohne es zu verfälschen.
Können Sie den Filmklassiker sehen, ohne sich über den Kitsch zu ärgern?
Ja, den Film finde ich ärgerlich, wenn auch teilweise gut gemacht. Eine Neuübersetzung ist auch immer eine Neuinszenierung, und so wie die alte Übersetzung gut zu dem alten Film von Victor Fleming passt, würde unsere Version durchaus eine Neuverfilmung vertragen. Sagen wir von Quentin Tarrantino.
Margaret
Mitchell: „Vom
Wind verweht“
Übersetzt von Andreas Nohl und Liat Himmelheber. Kunstmann Verlag.
1312 Seiten.
39,10 Euro.
Erscheint am
2. Jänner.
KURIER-Wertung: ****