Simone de Beauvoir: Fernbeziehung mit schimpfenden Füßen
Von Peter Pisa
Geht unsereiner durch eine fremde Stadt, neugierig, den ganzen Tag, so tun am Abend „schlicht und ergreifend“ (würde Kanzler Kurz sagen) die Füße weh.
Aber als Simone de Beauvoir am Abend im Hotel die Schuhe auszog, nachdem sie auf Entdeckungsreise gewesen war, da – wir zitieren – schimpften sie die Füße manisch.
Schimpfende, manische Füße. Wo soll das hinführen?
Die deutsche Autorin Katja Kulin hat sich in ihrem Roman „Der andere Mann“ zu Beginn zu diesem Bild verstiegen. Schlimmes war in Folge zu befürchten.
6.600 km
Aber das Problem waren nur Simones Füße.
Sie spielen im Buch später keine Rolle mehr. Es geht dann mehr ums Herz.
Aus Simone de Beauvoirs Biografie wurde ein kurzes Kapitel herausgelöst: die Liebesgeschichte zwischen der Pariser Intellektuellen (wohl eine der bedeutendsten Frauen des 20. Jahrhunderts) und dem Schriftstellerkollegen Nelson Algren aus Chicago. Es war viel mehr als eine ihrer Affären.
Eine Fernbeziehung 1947 bis 1950, über 6.600 Kilometer mit gegenseitigem Besuch und einem gemeinsamen Urlaub in Mexiko.
Fruchtbar außerdem: De Beauvoir, damals knapp über 40, schrieb die Studie „Das andere Geschlecht („Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“) – Nelson Algren wurde mit „Der Mann mit dem goldenen Arm“ berühmt (1955 mit Frank Sinatra in der Rolle des heroinsüchtigen Profi-Kartenspielers verfilmt).
Silberring
Aber der Amerikaner hat nicht ausgehalten, dass Simone immer zu Jean-Paul Sartre zurück musste.
Zurück zur „notwendigen Liebe“: Brillantes gehört eben zu Brillantem. Eine Mogelliebe. Der Pakt mit Sartre war von grausamer Offenheit.
Simone de Beauvoir hielt sich daran, 51 Jahre.
„Der andere Mann“ ist ein biografischer Roman. Er steht fest auf Dokumenten, zum Beispiel auf den Briefen, die unter dem Titel „Eine transatlantische Liebe“ als rororo-Taschenbuch um 15,90 Euro zu haben sind.
Die Fakten wurden von Katja Kulin belebt – man sieht jetzt, wie eine der bedeutendsten Frauen des 20. Jahrhunderts Erdäpfel schält, langsam.
Was man leider kaum sieht, sind die Spannungen eines Menschen, der alles wollte: Frau sein und gleichzeitig Mann, sachliche Autorin und gelöster, lachender Mensch, viele Freunde haben und allein sein, viel arbeiten und sich vergnügen – Feministin sein und eine starke Männerhand spüren.
Nur eines wollte sie nie sein: eine Ikone.
Zumindest das misslang ihr gründlich.
Katja Kulins Roman hört auf, wie nicht nur ein solcher Roman, sondern auch eine solche Liebe aufhören muss:
Der Silberring, den ihr Algren geschenkt hatte, trug de Beauvoir bis zu ihrem Tod 1986 – und darüber hinaus: Sie hatte gebeten, ihn ihr ins Grab mitzugeben.
Insofern muss gesagt werden: Das Herz hätte rechtzeitig mit den beiden schimpfen sollen, manisch.
Foto oben: Simone de Beauvoir mit Sartre (r.) in Ägypten,1967. Links im Bild: Regisseur Claude Lanzmann
Katja Kulin:
„Der andere Mann“
DuMont Verlag.
320 Seiten.
20,90 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern