Kultur/Buch

"Miracle Creek" ist nichts für Leser mit Klaustrophobie

Sitzt man mit Patienten in einer versperrten Druckkammer, um reinen Sauerstoff zu atmen, vielleicht hilft’s ja – und bricht Feuer aus, ein Feuer samt Explosion ... das nennt man: Spannungsroman.

Ein klaustrophobischer Spannungsroman ist „Miracle Creek“, der nach der Katastrophe in den Gerichtssaal übersiedelt. Der vorsitzende Richter mit seinem Hämmerchen wird kaum in Erscheinung treten.

Urteilen

Denn man soll selbst entscheiden, wen man verurteilt und ob man verurteilt und wer ein kleiner Lügner ist und wer unverzeihlich gelogen hat.

Von Angie Kim (Foto oben) wird man nicht erfahren, wer der Böse ist in ihrem allerersten Buch.

Die in Südkorea geborene Amerikanerin ist viel raffinierter, als es – bei allem Respekt – John Grisham in 30 Justizthrillern war.

Langsam von vorn:

Eine koreanische Einwandererfamilie hat in der fiktiven Kleinstadt Miracle Creek, eine Autostunde von Washington entfernt, ein stählernes U-Boot in die Scheune gestellt. Kein richtiges, nur der Form nach. Pak Yoo, seine Frau Young und die schon sehr amerikanische Tochter Mary wollen endlich Geld verdienen.

Die Behandlung, mancherorts umstritten: Man erhöht zuerst den Druck, weil Sauerstoff dann vermehrt von Blut und Gewebe aufgenommen wird.

Explosion

In Miracle Creek sitzen behinderte Kinder im U-Boot mit ihren Müttern, es sind immer die Mütter, die sich kümmern. Aber auch ein Mann, dessen Spermien unbeweglich sind, nimmt regelmäßig Platz.

Und dann kommt über den Sauerstoffschlauch Feuer in die Kammer. Sauerstoff ist hochexplosiv.

Eine Frau, Elizabeth Ward, wird als Brandstifterin bzw. Mörderin angeklagt: Ihr achtjähriger Sohn Henry ist gestorben, auch eine fünffache Mutter, die ihre Tochter im Rollstuhl begleitet hat, ist tot.

Glaubwürdig

Wieso war Elizabeth nicht „drinnen“? Sonst war sie es immer. Diesmal aber ging sie in den Wald und rauchte – und mittels einer Zigarette dieser Marke und den Zündhölzern, die sie verwendet hatte, wurde das Feuer entfacht.

Der Alleinerzieherin ist wohl alles zu viel geworden.

Angie Kim kennt sich aus: Sie ist Einwanderin. Sie arbeitete als Strafverteidigerin. Und mit ihrem Sohn war sie selbst bei der „hyperbaren Sauerstofftherapie“.

Das muss noch nicht bedeuten, dass daraus ein guter Roman entsteht. Aber die Glaubwürdigkeit wird erhöht.

Indem Kim die Erzähler wechselt und zunächst niemandem zu trauen ist, schafft sie eine Atmosphäre, in der man mitunter nach Luft japst – nicht nur wegen des Wer-ist-der-Täter-Spiels. Sondern wegen der sensiblen Herangehensweise an mehrere Problemzonen.

... und Elizabeth sitzt auf der Anklagebank, ganz ruhig, während alles gegen sie spricht, und sie überlegt, ob den weißen Kühen weniger heiß ist als den Kühen mit den schwarzen Flecken.

 

Angie Kim:
„Miracle Creek“
Übersetzt von
Marieke Heimburger.
Hanserblau im Hanser Verlag.
512 Seiten.
22,70 Euro

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern