Kultur/Buch

Höchstwertung für Reinhard Kaiser-Mühlecker

Seine Karriere begann mit dem Geräusch eines Zigarettenstummels, der im Wald auf verdorrte Blätter fällt – ein Geräusch wie ein vom Stein getroffener Vogel (aus „Der lange Gang über die Stationen“, 2008).

Die Bücher blieben leise.

Ein anderes Mal tropfte ein Wasserhahn, niemand drehte ihn zu.

Die Menschen, von denen der Oberösterreicher Reinhard Kaiser-Mühlecker - Foto oben - erzählt, sind selten laut. Die Provinz schweigt gern.

Dieses Gespenst versucht der heute 39-Jährige einzufangen. In seiner Kindheit und Jugend war es allgegenwärtig.

Er wuchs am Bauernhof der Eltern im Traunviertel auf. Als er in Wien studierte, Landwirtschaft und Geschichte, fiel ihm auf, wie eng es früher war.

Zauk

Peter Handke verortet Kaiser-Mühlecker als Dritten zwischen Adalbert Stifter und Knut Hamsun

Stifter ist jetzt weniger in „Wilderer“ präsent, breite Naturschilderungen fehlen. Auch geht es Kaiser-Mühlecker diesmal mit mehr Handlung an – gleich am Anfang schockiert er doppelt:

Jakob, der Jungbauer, spielt Russisches Roulette.

Und er steckt seiner – geliebten! – Hündin Nägel (oder Rasierklingen?) ins Futter. Denn „Zauk“ – Dialektwort für Schlampe, alles Weibliche ist für ihn zunächst „Zauk“ – hat gewildert. Das reicht ihm, um sie qualvoll sterben zu lassen.

Zwar bildet sich Jakob ein, es sind die Frauen, die Männer „reißen“ und dann stolz fürs Foto posieren. Zauk, verdammte.

Es sind die Hunde, die dem Buchtitel entsprechen.

Es ist Jakob, der hin und wieder Blut sehen will.

Wäre er ein anderer geworden in einer anderen Gegend? Er hat das Gefühl, im Abseits am Fenster zu sitzen, und hinter dem Fenster ist das wirkliche Leben.

Manchmal wünscht er sich einen Krieg.

Und dann geht eine Tür weit auf: Eine Künstlerin aus Salzburg verliebt sich in ihn. Sie malt, aber züchtet lieber mit Jakob Bioschweine und Biohühner. Sie heiraten, bekommen ein Kind. Katja organisiert alles neu, Jakob ist das sehr recht – was er bisher in die Hand nahm, scheiterte. Und auch das: Die Großmutter vererbt nicht, wie geplant, der FPÖ das Geld, das Großvater Juden geraubt hat. Sondern Jakob.

(Reinhard Kaiser-Mühlecker sieht es als seine Verpflichtung an, die Welt, die er kennt, für diejenigen erfahrbar zu machen, die sie nicht kennen ...)

Der einst so tote Hof wird zum Vorzeigebetrieb. Katja ist das Glück. Bitte, lass diese Frau niemals weggehen, sagt Jakob selbst.

Aber. Leider kommt dieses Aber. Es gelang ihm, aus dem Abseits durch Fenster ins Dasein zu steigen. Vor sich selbst kann er nicht weglaufen.

Bestürzung.

Und Höchstwertung.


Reinhard
Kaiser- Mühlecker:

„Wilderer“
Verlag S.Fischer.
352 Seiten.
24,95 Euro

KURIER-Wertung: *****