Hertha Pauli: Auf Augenhöhe mit Ödön von Horváth
Von Peter Pisa
Es gibt mehrere Ausgaben von Hertha Paulis Erinnerungen, aufgeschrieben 1970. Aber zum ersten Mal gibt es das Buch mit dem Nachwort von Karl-Markus Gauß, und zum ersten Mal sagt jemand, dass man lesend gar nicht anders kann: Man muss diese Frau lieb gewinnen.
Die Wiener Schriftstellerin und Schauspielerin entkam den Nationalsozialisten gerade noch, und wenn sie von ihrer Flucht über Paris, über die Pyrenäen, nach Lissabon und nach New York erzählt, wird man Ödön von Horváth begegnen.
Hertha Pauli - Foto oben, 1967 - war mit ihm zusammen, oft war sie mit ihm zusammen, bevor ihn auf der Champs-élysées ein Ast erschlug. Zuvor hatte er auf eine Zigarettenschachtel gekritzelt:
Was falsch ist, wird verkommen, / auch wenn es heut’ regiert – / Was echt ist, das soll kommen, / auch wenn es heut’ krepiert ...
Pauli war kein It-Girl, sie war Freundin auf Augenhöhe. Auch mit Joseph Roth saß sie im Exil oft zusammen in der Tournon-Bar, wo er an der Theke seine Romane schrieb. Nach jedem längeren Satz nahm er einen Schluck aus dem Wasserglas. Slibowitz.
Ohne Wahrheit
Man wird nie bei ihr das Gefühl haben, dass sie mit ihren Freundschaften angibt. Man wird von ihr auch kaum etwas über ihre Familie hören – Vater Universitätsprofessor für Chemie, Bruder Physik-Nobelpreisträger.
Hertha Pauli war völlig uneitel. Sie liebte Brücken. Sie schlug Brücken. Darum ging es ihr. Bis 1970 hat sie gebraucht, um über ihre Flucht schreiben zu können.
Über die Todesgefahr, beginnend an der Grenze zur Schweiz, als SS-Männern stundenlang fragten, warum sie ausgerechnet am Tag das Land verlassen wollte, als der „Anschluss“ gesetzlich verankert wurde ...
So hell sind ihre Erinnerungen trotzdem, so verzeihend. Sie vergaß nicht, dass weiterhin die Nachtigall sang. Und dass Sägespäne duften.
Ein bedeutender Romanbericht, allein schon wegen unserer Geschichte.
Ödön von Horváths „Jugend ohne Gott“ wurde von ihr mit „Jugend nachher“ fortgesetzt (im Milena Verlag 2019 neu herausgegeben): Die Jungen hörten nach dem Krieg ... Schweigen. Oder dass man Opfer der Alliierten geworden wäre. Eine Jugend ohne Wahrheit.
Hertha Pauli:
„Der Riss der Zeit geht durch mein Herz“
Zsolnay Verlag.
256 Seiten.
25,95 Euro
KURIER-Wertung: ****