Elfriede Jelinek: Ein Fernseher für ihren Sarg
Von Peter Pisa
Tauchen wir im Wortschwall unter und holen das Innerste hervor, dann ist es einfacher, etwas einfacher, dann wird man nicht gleich von Wort & Wut erschlagen:
(Literatur-)Preise sind in Österreich seit 1990 generell steuerfrei.
In Deutschland wird zwischen einem Preis fürs Lebenswerk (steuerfrei) und für einzelne Werk (= Einkommen = steuerpflichtig) unterschieden.
Allein 2004 bekam Elfriede Jelinek außer dem in beiden Ländern steuerfreien Nobelpreis noch fünf weitere Preise. Und Geld für ihre Bücher und für Theateraufführungen ...
Sie wohnt in Wien-Hütteldorf, ist österreichische Staatsbürgerin, aber sie war auch in München bei ihrem Ehemann. (Gottfried Hüngsberg starb im September.)
Topf
Die bayerische Finanz wollte beweisen, dass ihr Lebensmittelpunkt München ist. Steuerfahnder beschlagnahmten deshalb Notizen, eMails – sie beschlagnahmten gewissermaßen Teile ihres Lebens.
Das Verfahren wurde inzwischen eingestellt.
Fühlt sich Elfriede Jelinekjetzt als Opfer?
Als „absolutes Minimum an Opfer.“
Fühlte sie sich verfolgt? Zwar beklagt sie sich, aber verfolgt wurde sie nicht – „Verfolgt wurden andre.“
Schon ist sie bei ihrer Verwandtschaft. Etwa bei der Tante, die Topf hieß, und schon ist sie bei der Firma Topf und Söhne, die Hochgeschwindigkeitsöfen für Buchenwald und Auschwitz baute.
Elfriede Jelinek kommt ganz generell zum jüdischen Vermögen, das in der Schweiz verschwunden ist, und zu den Nazis kommt sie, mit denen nach dem Krieg so freundlich umgegangen wurde. Ja, und übers Geld schreibt sie: Geld sucht mehr, sucht immer mehr.
76 ist sie kürzlich geworden, es sind „die letzten Meter“, die sie zu drängen scheinen, etwas persönlich zu werden. („Alle weg, alle futsch, außer mir!“)
So erfährt man Unbekanntes über ihre Familie, beginnend beim Ur-Oheim Herschel Jellinek (zwei „l“), der während der Revolution von 1848 hingerichtet wurde. Bis zum Opapa, der alle gequält hat, „da ist ganz Bayern samt Austria nichts dagegen.“
Auf Seite 142 steht, das ist lustig: „Ach Gott, dauert dieses blöde Schreiben lang.“
Nicht aufregen, das Lesen von „Angabe der Person“ braucht ja auch seine Zeit.
Es ist ein Herauswürgen der Dinge, die nicht nur bei ihr Übelkeit verursachen.
Daraus entsteht ein Dschungel mit ihren typischen Satzschlangen. Jedoch führt der Weg immer wieder zu Stellen einfacher Klarheit. Dort klingt Elfriede Jelinek – ein seltenes Ereignis ist das – nach Antworten auf Journalistenfragen.
Nein, sie will nicht mit ihren Eltern begraben sein, „die möchte ich nicht wiedersehen, nirgends ...“
Sie wird sich „einen Fernseher in meinen Sarg einbauen lassen, welcher von einer tüchtigen Solarzelle oben auf der Erde gespeist wird ...“, damit sie ihre Lieblingsserien sehen kann.
Könnte das in Wien sein?
„Mein geliebtes Wien ... Kein Schwein glaubt mir, wie sehr ich es liebe, was bleibt mir übrig, ich kenn ja kaum was anders.“
Ihr Lebensmotto?
Daheim bleiben.
Der Text ist ein Buch, und er ist auch ein Theatertext – Uraufführung Berlin, Deutsches Theater, 11. Dezember 2022.
Elfriede Jelinek:
„Angabe der Person“
Rowohlt Verlag.
176 Seiten.
25,50 Euro
Erscheint am 15. November 2022
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern