Knut Hamsun: Ein beleidigter Mann und seine stille Wut
Von Andreas Schwarz
„Ich habe so gelacht, wie ich da auf der Bank saß, ich musste mir das Buch vors Gesicht halten, damit die Vorübergehenden nicht glaubten, ich sei verrückt.“ Wenn die große Astrid Lindgren so etwas über ein Buch sagt, dann kann es kaum ein bestechenderes Urteil geben – außer vielleicht das des Peter Altenberg über „Hunger“ und seinen Erschaffer: „Ich kann alle Schriftsteller ruhig lesen, was gehen sie mich an!? Nur Knut Hamsun nicht! Da schäme ich meiner Unbedeutendheit.“
Nur Kurt Tucholsky revidierte seine Adoration für den norwegischen Dichterfürsten (1859–1952), als der im Alter den glühenden Verehrer für Hitler und den Nationalsozialismus nicht mehr verbarg (Tucholsky: „Ach, hätte er doch den Mund gehalten“). „Culture cancelling“, wie es heute Denkmäler landauf, landab stürzt, wurde dem Literatur-Nobelpreisträger Hamsun (1920) aber nie zuteil.
Knut Hamsuns Roman „Hunger“ liegt in einer Neuübersetzung (Ulrich Sonnenberg) vor, die sich an den Originaltext aus 1890 hält. „Hunger“ ist, anders als die Pippi-Langstrumpf-Erfinderin insinuiert, kein lustiges Buch. Im Gegenteil. Ein Journalist und namenloser Ich-Erzähler irrt durch Kristiana, das heutige Oslo, von Unterkunft zu Unterkunft, hungernd, auf der Suche nach Schreibaufträgen, um sich Essen für einen Tag kaufen zu können. Der Roman hat offenbar starke autobiografische Züge, auch im Dünkel, den der Erzähler anderen Bettlern oder Fremden entgegenbringt, oft in rauem, abschätzigem Ton. Der Protagonist ist zerrissen zwischen Schuldzuweisung für sein Dasein und Selbstanklage, ist selbstverliebt und selbstzerstörerisch.
Die stille Wut
Das alles macht den brillant geschriebenen Text – er gilt als Meilenstein in der Entwicklung des Romans Ende des 19. Jahrhunderts – verstörend, heftig, wechselnde Emotionen fordernd, abstoßend und fesselnd zugleich. Ein beleidigter Mann, der seine stille Wut kultiviert – das erinnert auch heute an etwas.
Da sind wir beim Punkt: Es gibt unzählige Interpretationsversuche des Jahrhundertromans, metaphorische Deutungen einzelner Szenen, ein G’scheiteln post scriptum sozusagen. Man kann „Hunger“ auch einfach nur als grundguten Text verstehen und lesen – und an manchen Stellen sogar, wie Lindgren, schmunzeln. Andreas Schwarz