Kultur/Buch

Alternative Weltgeschichte mit den Inka, die Europa erobern

Die Kunst erweckt zum Leben, was die Geschichte ermordet hat (steht in einem Essay des Mexikaners Carlos Fuentes).

In Süd- und in Mittelamerika hat die (europäische) Geschichte Gemetzel veranstaltet.

Aber was wäre gewesen, wenn?

... wenn die Inka Europa erobert hätten?

Das ist nicht so absurd. Das ist alternative Weltgeschichte. Mit ein paar Zufällen wär’s möglich gewesen.

Immunisiert

Der Franzose Laurent Binet spielt es durch. Sein aktueller Roman, der zurzeit als TV-Serie verfilmt wird, liest sich wie die Revanche für die Gräueltaten der Konquistadoren.

Ein kluges Buch. Vergnügen (auf hohem Niveau) – selbst wenn man historische Romane sonst gern vermeidet: „Eroberung“ vereint historische Figuren (Erik der Rote, Atahualpa, Karl V.) mit erfundenen (aber vielleicht gab’s in Norwegen ja einen Eyjolf Vogeldreck und in Island den Herrn Brustschild von Knorr).

Was wäre, wenn?

... wenn die Wikinger Amerika entdecken, wenn sie die Inka mit europäischen Viren und Bakterien langsam immunisieren – und ihnen im Tausch gegen landwirtschaftliches Know-how beibringen, wie man Waffen aus Eisen herstellt und auf Pferden kämpft?

Dann kann der 500 Jahre später eintreffende Kolumbus nämlich einpacken.

Kolumbus wird nie mehr nach Spanien zurückkehren.

Die Inka reparieren ums Jahr 1531 seine drei alten, noch immer vor Anker liegenden Schiffe.

Knapp 200 überqueren daraufhin den Ozean, verwirren die Portugiesen und schicken die spanischen Priester – die die Fremden gern der Heiligen Inquisition bzw. dem Scheiterhaufen zuführen wollen (weil die bösen Inka PriesterINNEN haben !) – zur Hölle.

Und die Habsburger? Nicht nur sie verstehen etwas von Heiratspolitik, um die Herrschaft auszudehnen.

Es folgen Azteken aus dem heutigen Mexiko, die in Frankreich an Land gehen.

Im Innenhof des Louvre, damals Residenz der Könige, bringen sie ihrem Sonnengott Menschenopfer.

Laurent Binet will nämlich nicht vorführen, dass Inka und Azteken liebe Leut’ waren und gar nichts gemeinsam hatten mit Monstern wie Francisco Pizarro, Hernán Cortés’ ....

Auch seine Eroberer schlagen in Europa Köpfe ab. Aber sie verursachen keinen Völkermord, und Grund und Boden werden nach Bedarf zugeteilt. Damit machen sie sich viele Freunde.

Mehr jedenfalls als es zuletzt Luther geschafft hat, dessen 95 Thesen von den Inka umgeschrieben werden.

Nr. 57: Der Sonnengott ist auf der Seite der Armen.

Nr. 68: Der Sonnengott kennt keine Leibeigenen. Er kennt nur Menschen.

Die Inka hätten Luther leben lassen – obwohl ihnen sein Judenhass sehr unangenehm aufgefallen ist. Es sind die Bauern, die Luther foltern. Vierteilen. Und verbrennen.


Laurent Binet:
„Eroberung“
Übersetzt von Kristian
Wachinger.
Rowohlt Verlag.
384 Seiten.
24,70 Euro

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern