Brisante Themen im Volkskundemuseum
Von Thomas Trenkler
Das barocke Gartenpalais an der Ecke Lange Gasse und Laudongasse ist ein kleines Juwel: Johann Lukas von Hildebrandt errichtete es 1708 bis 1713 für Reichsvizekanzler Friedrich Karl Graf Schönborn. Und es überdauerte äußerlich unverändert.
Seit 1917 ist in diesem Lustschloss das Volkskundemuseum untergebracht. Wiewohl als Rechtsträger der Verein für Volkskunde fungiert, gilt das Museum als eine Einrichtung des Staates. Denn drei Viertel der Mitarbeiter sind Bundesbedienstete. Der Verein erspart sich dadurch 850.000 Euro an Kosten.
Zudem erhält das Museum 530.000 Euro an Subvention – für das Sammeln, Bewahren und Forschen, für die Ausstellungen und die Schriftenreihen, für weitere Mitarbeiter und den Betrieb. Die Unterstützung ist also im Vergleich zu den Basisabgeltungen für die Bundesmuseen ein Witz: Dem relativ kleinen Theatermuseum stellt das Kulturministerium 2,61 Millionen Euro zur Verfügung, also fast doppelt so viel.
Immer in Geldnot
Notwendige Reparaturen wurden natürlich durchgeführt. Aber es fehlte immer das Geld, um das Gebäude zu sanieren. Doch dazu ist der Verein laut Mietvertrag verpflichtet. Und die Stadt Wien als Eigentümerin forderte auch Maßnahmen. 2007 ergab eine Substanzerhebung, dass eine Sanierung inklusive neuem Dachstuhl auf zumindest sechs Millionen Euro kommen würde. 2010 überlegte die damalige Direktorin Margot Schindler, das Gebäude aufzugeben.
Das Heil sah man in der Fusion mit dem Völkerkundemuseum. Die beiden Institutionen würden einander schließlich perfekt ergänzen: Die Sammlungen des Volkskundemuseums mit 200.000 Objekten berücksichtigen alle Gebiete der ehemaligen Monarchie. Ziel war die Etablierung des größten ethnologischen Museums in Europa.
Doch das Kunsthistorische Museum wollte das Völkerkundemuseum nicht in die Autonomie entlassen – und das Volkskundemuseum seine Autonomie nicht aufgeben. Der Plan scheiterte 2012. Wahrscheinlich war es gut so. Denn es kam zu einer zeitgenössischen Programmatik, für die in erster Linie Matthias Beitl, Direktor seit 2013, verantwortlich ist. Im Mission Statement heißt es: "Wir fragen, wie Menschen ihr Zusammenleben gestalten. Uns interessieren Alltage und Lebensstile, Selbst- und Fremdbilder, Identitäten und Vorstellungswelten, Heterogenität und Hybridität, Deutungshoheiten und Elitenbildung, Machtverhältnisse und politische Konstellationen, soziale Räume und gesellschaftliche Prozesse."
Um zu demonstrieren, dass neue Zeiten angebrochen sind, öffnete Beitl das Tor hin zum Schönbornpark. Man kann nun ungehindert von der Florianigasse quer durch das Palais in die Laudongasse spazieren. Das Museumscafé erfreut sich seither größter Beliebtheit.
Und weil man nicht jeden Menschen, der das Palais betritt, kontrollieren will, verlangt man seit Anfang April keinen Eintritt mehr: Die Erste Bank kompensiert den Einnahmenverlust und legt sogar noch etwas drauf.
Die Neukonzeption zeigt sich auch am Angebot. Ein Beispiel ist "Klimesch. Das Geschäft mit den Dingen": 2013 schloss die Haushalts- und Eisenwarenhandlung Klimesch in der Laudongasse 28. Das Museum kaufte den Restbestand – und zeigt ihn bis Ende Oktober in einer kunterbunten Sonderausstellung, die sich durch die Besucher laufend verändert.
Die neuen Sklaven
Ab 25. September ist zudem die Ausstellung "Bitter Oranges" zu sehen. Viele der Bootsflüchtlinge, die über Lampedusa nach Europa kommen, landen als Saisonarbeiter auf den Orangenplantagen in Kalabrien. Als Tagelöhner verdienen sie nur zwei Euro pro Stunde, die Lebensbedingungen, die hygienischen Zustände in den Slums oder Zeltlagern sind schockierend. Im Sommer, wenn es keine Arbeit gibt, müssen viele hungern. Drei Jahre lang dokumentierten die Ethnologen Diana Reiners und Gilles Reckinger sowie die Sozialwissenschaftlerin Carole Reckinger die Ausbeutung der neuen Sklaven.
"Es gibt zwar eine Jahresplanung", erklärt Beitl. "Wir lassen uns aber Freiräume, um auf kurzfristig auf Themen reagieren zu können. Der Prozess ist das Konzept." Der Direktor sieht das Volkskundemuseum als "Möglichkeitsort" – und als Plattform für verschiedene Initiativen. "Es hat sich herumgesprochen: Hier kann man etwas realisieren. Wir beweisen zudem, dass wir auch mit wenig Geld viel Programm machen." Dass es auf Dauer nicht so weitergehen kann, liege auf der Hand. Beitl will nicht klagen, aber: "Mein Wunsch wäre 400.000 Euro mehr!"
Zukunftsvisionen
Klarerweise besteht das Problem mit der Sanierung noch immer. Aber dem Magistrat dürfte klar geworden sein, dass die Kosten nicht auf den Verein abgewälzt werden können. SP-Wohnbaustadtrat Michael Ludwig forderte das Museum daher auf, Visionen zu entwickeln. Das ließ sich Beitl nicht zwei Mal sagen: Zusammen mit dem Institut für Europäische Ethnologie entwickelte er das Konzept "Campus Alltagskultur". Es sieht die Zusammenlegung mit dem Uni-Institut vor, das derzeit im Hanuschhof untergebracht ist (und dort ausziehen soll).
Platz wäre vorhanden, sagt Beitl: "Man könnte das Dach ausbauen. Und wir könnten uns reduzieren. Die Schausammlung muss sich nicht über ein ganzes Stockwerk erstrecken. Denn permanente Ausstellungen werden bereits nach einer kurzen Zeit eher uninteressant. Ich denke generell an semipermanente Präsentationen."
Die Vereinigung der beiden Institutionen unter einem Dach könnte zu Synergieeffekten führen. Als Atout führt Beitl zudem die Lage an: Die geplante U5 wird am Museum vorbeiführen.
Ob das Projekt Chancen hat? "Die MA 34 schien interessiert", sagt Beitl. Über die Pläne unterrichtet wurde auch Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ). Nun wartet man auf Antwort.