"Bon Voyage": Andrea Eckert solo
Andrea Eckert zur Revue mit Liedern von Greta Keller, der österreichischen Chansonsängerin und Freundin von Marlene Dietrich, im Volkstheater (Premiere: 14. September).
KURIER: Dass ein neues Stück sogar noch vor der Generalprobe aufgeführt wird, passiert selten. Wie kam es dazu?
Andrea Eckert: Am Tag der zweiten Hauptprobe von "Bon Voyage" vor der Sommerpause konnte krankheitshalber eine Vorstellung der "Dreigroschenoper" nicht gespielt werden. Und Michael Schottenberg bat mich einzuspringen. Das war aufregend, und wir waren alle sehr gespannt auf die Publikumsreaktion.
Die Idee zum Stück hatte André Heller. Er kannte Greta Keller, Österreichs berühmteste und fast vergessene Diseuse, noch persönlich?
Ja. Er hat ihre letzten zwei Platten produziert. Die Keller trat ja bereits mit zwölf Jahren im Wiener Volkstheater auf und Ende der 20er-Jahre mit der Dietrich in den Kammerspielen.
Aber "Bon Voyage" ist kein biografisches Stück?
Es ist die Geschichte von drei Frauen: Greta Keller, Fini, die die Sängerin aus der Ferne verehrt, alle ihre Platten kennt und ihre Lieder hört, und ihrer Enkelin, einer Schauspielerin. Für Fini ist Greta Keller eine Figur, die sie in all ihrer Gegensätzlichkeit durch ihre Kunst tröstet und bestärkt, obwohl sie nie die Gelegenheit hat, sie persönlich kennenzulernen. Nach ihrem Tod findet die Enkelin eine sorgsam in einem alten Lederkoffer verwahrte Sammlung von Erinnerungsstücken. Und auf einmal verknüpfen sich die Lebensgeschichten von drei Frauen zu einer Erzählung, einer Reise durch bewegte Zeiten und gegensätzliche Wirklichkeiten.
Dazu kommen die Lieder, die ursprünglich für Greta Keller geschrieben wurden und heute Marlene Dietrich zugeschrieben werden.
Durch die Chansons steht die Keller natürlich im Zentrum des Abends. Trotzdem ist es kein Bio-Play, keine Biografie Greta Kellers anhand ihrer Lieder. sondern ein Kaleidoskop aus dem Leben dreier Frauen – mit viel Musik. Es ist auch eine Reise durch das letzte Jahrhundert. Aus weiblicher Sicht.
Wie nähert man sich einer Figur wie Greta Keller an?
Bei einem Menschen, der wirklich gelebt hat, geht die Fantasie ganz andere Wege als bei einer literarischen Figur, auch wenn sie eine historische ist. In ihrem Fall gibt es neben Platten Fotos, Kritiken, Zeitzeugen und eine Art Autobiografie, die nie veröffentlicht wurde. Das sind Möglichkeiten, sehr direkt mit dem Wesen einer Person in Kontakt zu treten.
Sie haben die 20 Lieder ausgewählt?
Die Keller hatte ein ungeheuer großes Repertoire: von Schubert über Wienerlieder, deutsche und französische Chansons bis zu englischen Jazz-Standards. Alle Lieder sind bei uns mit dem Verlauf des Stückes verwoben – als Kommentar oder Weiterführung der Geschichte.
Das bittersüße "Thanks For The Memory"?
Ein wunderbares Lied, aber wir haben uns für andere Songs entschieden, etwa "Wenn die Sonne hinter den Dächern versinkt", "Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre", "Everytime We Say Goodbye", "Geh schlafen mein Junge" und viele mehr .
Gustav Gründgens sagte: "Am Theater gibt es viele Kinder und ein paar Erwachsene." Stimmt’s?
Naja, ich weiß nicht ... Aber es stimmt, dass Kinder eine Fähigkeit haben, die fürs Theaterspielen unerlässlich ist: ganz in der Gegenwart verankert zu sein. Dieses sich total an den Moment verlieren, das die Zeit anhält, das ist auch ein Teil des Wunderbaren am Theater: ganz im Hier und Jetzt zu sein, wie unsere buddhistis
Zur Person: Die Grande Dame des Chansons
Alle kennen die Dietrich. Aber kaum einer erinnert sich an Greta Keller (1903–1977), von der sich Marlene ihre erotisch-rauchige Laszivität abgeschaut hat. Max Reinhardt entdeckte sie. Sie sang dies- und jenseits des Atlantiks polyglott: englisch, französisch, italienisch, deutsch – und wienerisch in der unnachahmlich elegant-nasalen Färbung, die nicht erlernbar ist, die man ererbt haben muss. Ihre Welt: Chanson, Musical-Songs, Wienerlieder. Und die Küche. Ihr Kochbuch erschien in den USA mit der Ankündigung: "Die Keller singt in fünf Sprachen und kocht in fünfzehn." Noch in den 70ern erzählte sie von ihrer Zeit am Broadway: Als dort ihre Aufnahme von "Drunt’ in der Lobau" wegging "wie die heißen Semmeln". Als sie Leonard Bernstein ein "zeitloses Wunder" nannte.
Sie war sentimental, aber nie rührselig. Gefällig, aber nie kitschig. Ihr G’spür für Sinnlichkeit, Witz, Scharfsinn und lässige Grandezza hatte Vorkriegsqualität.