Kultur

Skulptur ohne Anstandswauwau

Skulptur ist ein vielköpfiges Wesen. Sie wird heute mitunter genäht und gestickt; sie rinnt als Wasser an einem nackten Körper hinunter, lehnt an der Wand, dreht sich oder bohrt sich wie ein Bücherwurm durch gedruckte Seiten.

Doch es wäre verfrüht, als Echo auf den jüngst verstorbenen Hans Hollein ("Alles ist Architektur!") ein "Alles ist Skulptur!" in die Welt zu rufen. Denn selbst die unwahrscheinlichsten Skulpturen bewegen sich innerhalb eines sehr speziellen Koordinatensystems, das in eine lange Geschichte zurückweist.

Womit sich aktuelle Skulptur beschäftigt, zeigt nun "Sculpture Unchaperoned" (frei: "Skulptur ohne Anstandswauwau") in der Galerie Thoman – eine der spannendsten Ausstellungen in diesem Sommer in Wien.

Der Künstler Michael Kienzer hat die Zusammenstellung kuratiert – mit dem Blickwinkel eines Bildhauers, der selbst an Skulpturen im erweiterten Sinn arbeitet. Das Eigenleben des Materials, der Umgang mit der Schwerkraft sind dabei Grundkonstanten. Doch Skulptur, so wird deutlich, lebt auch von symbolgeladener Arbeit, die sich gewissermaßen in das Material einschreibt.

Neben dem klassischen Dreigestirn Hammer-Meißel-Marmor kann diese Arbeit jene an Keramik sein, wie mit Skulpturen von Paloma Varga Weisz veranschaulicht. Aus Zwirn, Glas und Textilien gefertigt sind die Werke von Jenni Tischer, die nie ganz an der Wand, nie ganz im Raum zu Hause zu sein scheinen.

Hand- und Kopfarbeit

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Der Bezug zwischen Skulptur und Handarbeit wird in einem Werk des Dänen Tue Greenfort noch direkter angesprochen: Hier ist ein großes, mit der Reproduktion eines Intarsien-Bodens bedrucktes Tuch auf einen überdimensionalen Nährahmen gespannt; der im Boden eingelassene Leitspruch – "Die Quelle der Kunst liegt im Leben der Menschen" – macht die Arbeit zu einer Art Monument für Walter Crane, der mit diesem Motto die "Arts & Crafts"-Bewegung im 19. Jahrhundert anführte.

Der Gedanke, dass Skulptur auch Monument sein kann, geht den Zeitgenossen nicht verloren – doch oft sind es immaterielle Dinge, denen in der Schau ein Denkmal erbaut wird: In Thomas Baumanns "Tau Sling" dreht sich etwa eine Schleife aus dickem Seil ununterbrochen an der Wand, wird nochmals im Spiegel am Boden reflektiert – und vom Antriebsmechanismus nach und nach zu Staub zerrieben; der Titel verweist auf die "endlose" Zahl 2π. Ein Monument der Endlichkeit in der Unendlichkeit – auch das kann heute Skulptur sein.

Info: Bis 20. 9., Galerie Elisabeth & Klaus Thoman, 1., Seilerstätte 7, Di.–Fr. 12–18 Uhr, Sa. 11–16 Uhr. galeriethoman.com