"Alte Dame" in der Josefstadt: Konjunktur für eine Leiche
Dass einen ein schon vor langer Zeit zu Tode gespielter Klassiker hier und heute anspringt wie die von hyperventilierenden Moderatoren präsentierten News, dafür sorgt Stephan Müller bei seinem Regiedebüt in der
Josefstadt.
Und drückt dabei aufs Tempo. Keine Spur mehr von der putzigen Provinz der 50er-Jahre beim stark bearbeiteten Dauerbrenner „Der Besuch der alten Dame“.
Ursprünglich war der Untertitel „Eine Komödie der Hochkonjunktur“. Die tragische Komödie von der Käuflichkeit des Menschen und der korrumpierenden Wirkung des Wohlstands, die Parabel auf die Krisenanfälligkeit des Rechts ist zeitlos, Storytelling und Bildsprache mit Kameras, Monitoren und Livestream sind aktuelle Medienrealität.
Wie steht’s um Gerechtigkeit und Menschlichkeit?
Friedrich Dürrenmatt hat keinen Augenblick daran geglaubt. Er leugnete entschieden die Existenz der Moral in unserer Welt und ließ doch erkennen, dass er sich mit der Absenz der Moral nicht abfinden konnte.
Andrea Jonasson ist als steinreiche, aber auch versteinerte Claire Zachanassian die Eiskalte und Mondäne mit Hang zur Melancholie: Sie kennt die Welt, weil sie ihr gehört. Die Milliardärin auf Heimatbesuch ist die einzige Hoffnung im traurigen Nest Güllen – „außer Gott, aber der zahlt nicht“. Sie ist auf Rachefeldzug. Ein Liebesverrat hat sie einst zur Hure gemacht. Jetzt macht sie „die Welt durch Reichtum zum Bordell“, gibt dem Butler die Order: „Lass die Tesla-Aktien aufkaufen.“ Darauf ein Zwischenruf aus dem Publikum: „Jetzt geht sie pleite.“
Michael König als Claires einstiger Verführer Alfred Ill, mutiert vom jovialen Schwerenöter zum Verfolgten ohne Unrechtseinsicht. Er ist, wie alle: Nicht wirklich böse, nur schwach. Die Aussicht auf eine Milliarde, für die man schon einen Mord in Kauf nehmen kann, untergräbt die Moral der Kleinbürger, lässt sie ihre Ideale verleugnen.
Das bravourös agierende Ensemble führt schön vor, wie schnell Werte und Worte umgewertet werden können in Barbarei. Verlogen und larmoyant, schmierig und schmeichelnd – mit Referenz an Dürrenmatts bitterböse und entlarvende Komik.
Denn nur lachend lässt sich das Komische am Tragischen, das Groteske und Aberwitzige und das abgrundtief Schwarzhumorige am ehesten ertragen.
Nur: Den Meuchelmord am Schluss so drastisch via Video vorzuführen, ist angesichts der Terror-Bilder im Reality-TV, die ohnedies alle im Kopf haben, unnotwendig schmerzhaft. Just in einer Gegenwart, in der politische Morde und die Beseitigung von kritischen Journalisten an der Tagesordnung sind, aber nur keine Investoren-Interessen stören sollen.