Kultur

Bernhard Schlink: Von der Größe, sich mit Kleinerem zu begnügen

Auf dem Buchumschlag sieht man eine Frau am Meer stehen, sie sieht traurig aus, sie wartet auf jemanden, man hört Zarah Leander singen: "Ich hab’ eine tiefe Sehnsucht in mir."

Genau DAS kann Bernhard Schlink gar nicht brauchen.

Denn nach seinem Bestseller "Der Vorleser" (1995), der es sogar auf Platz 1 der New York Times-Liste und, mit Kate Winslet, ins Kino geschafft hatte, musste er sich für seine folgenden Romane die Kritik anhören – in der Art: "Kitschig" sei das, "bieder" auch noch.

Das Weite suchen

"Olga" ist anders.

Olga steht nicht am Meer.

Sie steht in Pommern an der Memel, jenem Strom, der von Weißrussland in die Ostsee fließt. In einem Dorf südlich der Memel hat Olga als Lehrerin gearbeitet.

Tochter armer Eltern, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts Bildung hart erkämpfen musste.

Schlinks neues Buch hätte auch "Herbert" heißen können. Dann hätte auf dem Buchumschlag ein Mann sehnsüchtig aufs Meer schauen müssen.

Olga und Herbert, Sohn aus reicher Familie, sind ein Paar. Allerdings heimlich. Herberts Eltern würden ihn enterben, er soll gefälligst eine Zuckerfabrikantentochter ehelichen.

Herbert sucht (deshalb?) die Weite. Das Unendliche, Er geht als Soldat nach Afrika (und kehrt zu Olga zurück). Er geht nach Argentinien (und kehrt zurück). Es ist Liebe, aber er will Held sein und geht in die Arktis (und kommt nie mehr zurück).

Bei Schlink wird man die Hitze Afrikas nicht spüren. Man wird auch keine Eisbären im Nacken haben. So atmosphärisch schreibt er nicht. Die Weltkriege, durch die Olga danach ohne Herbert gehen muss, "fauchen" und "brüllen". So steht es zumindest geschrieben.

Ja, man wird nicht einmal Olga und Herbert plastisch vor Augen haben.

Aber ein Gefühl wird man bekommen. Ein Gefühl für eine großartige Frau, die sich gern mit dem Kleinen zufriedengegeben hätte: mit ein bissl Herbert. Ein holpriges Glück wäre es gewesen, aber Glück.

Und ein Gefühl für Herbert, über dessen Ungeduld, Großes vollbringen zu wollen, Olga zwar schimpft – der Größenwahn hat ja auch ihr Leben ruiniert.

Aber irgendwie ist sie auch froh, dass ihr Liebster kein fader Zipf war.

Schlink hat sich diesmal sogar Geheimnisvolles einfallen lassen. Allerdings ahnt man die Erklärung halt auf der Stelle. Egal, denn die Sehnsucht nach Irgend- und Nirgendwo ist spannend und rätselhaft genug.


Bernhard
Schlink:

„Olga“
Diogenes Verlag.
320 Seiten.
24,70 Euro.

KURIER-Wertung: ****