Kultur

Befreit, besetzt – und aufgeteilt

Am 29. März 1945 drang die Rote Armee im Burgenland auf österreichischen Boden vor. Damit begann eine Phase, in der das nationalsozialistische Regime, das den Zweiten Weltkrieg längst verloren hatte, sein Gewaltpotenzial noch einmal intensivierte: In den 41 Tagen bis zum Kriegsende am 8. Mai 1945 fielen Abertausende Menschen dem NS-Terror zum Opfer, darunter etwa 23.000 bei "Todesmärschen" und 7000 bei Massakern in Konzentrationslagern.

Diese "Verdichtung der Gewalt" ist Thema der Ausstellung "41 Tage", zusammengestellt von einem Team unter der Leitung von Heidemarie Uhl: Am Heldenplatz beim Äußeren Burgtor werden zwölf Beispiele, ausgewählt aus 100 dokumentierten Verbrechen, auf ebenso vielen Litfaßsäulen erklärt. Einen Bezug zur Gegenwart bilden affichierte Farbfotos der "Tatorte" von Stefan Olah.

Stefan Fuhrers klar gestaltete Säulen sind nicht chronologisch angeordnet. Aber über den Stand der Befreiung informiert eine kleine Österreich-Grafik: Am 11. April – in Amstetten werden etwa 250 Deserteure hingerichtet – sind die Russen schon bis weit ins Niederösterreichische vorgedrungen. Und am 2. Mai – die Waffen-SS ermordet bei Persenbeug 228 Juden – haben die Alliierten an mehreren Stellen im Westen die Grenze zur "Ostmark" überschritten.

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In der Krypta des Äußeren Burgtors werden zudem die turbulenten Ereignisse in Wien nacherzählt – vielfältig und auch widersprüchlich anhand von 41 Erinnerungen bekannter Zeitzeugen (Peter Alexander, Elisabeth Orth, Karl Merkatz,, Udo Jürgens, Franz König, Bruno Kreisky u. a.). Lucia Heilman, die versteckt in einem Keller überlebte, beschreibt ein belebendes Gefühl: "Ich war glücklich, ich war selig, ich konnte endlich laufen, wohin ich wollte, und ich konnte mich auf jede Parkbank setzen."

Die Ausstellung "1945. Zurück in die Zukunft", die bis 10. Mai im Camineum der Nationalbibliothek zu sehen ist, schließt nahtlos an: Am 27. April 1945, zwei Wochen nach der Befreiung von Wien, wurde eine provisorische Regierung unter Staatskanzler Karl Renner (SPÖ) etabliert, der 1938 für den "Anschluss" eingetreten war.

In 17 Stationen erklärt der Zeithistoriker Oliver Rathkolb grob die Facetten des "Schlüsseljahres": Er thematisiert Hunger und Unterversorgung, die Flüchtlingsströme, den Wiederaufbau, die Hochkultur als identitätsstiftendes Element, den Beginn des Kalten Krieges und so weiter. Genauer arbeitet Rathkolb die Entnazifizierung heraus – zum Beispiel jene des Dirigenten Karl Böhm. Und er zeigt auf, dass man durch das Staatsbürgerschaftsgesetz die Rückkehr der Exilanten erschwerte.

Wiewohl inhaltlich solide, enttäuscht die Schau: Die Tafeln wirken, als seien sie für eine Wanderschaft durch Schulen gebaut worden. Zudem gibt es nur sieben Vitrinen mit Dokumenten. Erstmals zu sehen ist jedoch eine Liste mit den 2000 Juden, die in Wien überlebt haben. Auf ihr stehen auch die Dichterin Elfriede Gerstl und deren Mutter Renée, von der ein Brief ausgestellt ist: Abgemagert auf 36 Kilo, bittet sie die französische Kommandatur um ein Lebensmittelpaket.

Die Schau wird von 26. Juni bis 12. September in der Landesbibliothek in Linz zu sehen sein. Das bedeutet eigentlich, Eulen nach Athen zu tragen. Denn Oberösterreich bietet einen echten Ausstellungsschwerpunkt zu Kriegsende und Wiederaufbau an. "Befreit und besetzt. Oberösterreich 1945–1955" im Linzer Schlossmuseum ist zudem didaktisch wie konzeptuell hervorragend geglückt.

Gleich zu Beginn sieht man schockierende Fotos aus den letzten Kriegstagen. Danach, in einem langen Gang, ist die Situation auf der Linzer Nibelungenbrücke nachgestellt: Man passiert den russischen wie den amerikanischen Kontrollposten.

Tanz auf der Brücke

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Schlusspunkt bildet eine Installation: Landesvater Heinrich Gleißner tanzt mit der Frau des Bürgermeisters am 9. Juni 1953 auf der Brücke. Denn damals wurde die Zonenkontrolle aufgehoben. Auf dieses Sujet stößt man auch im Stadtmuseum Nordico. "Geteilte Stadt. Linz 1945–’55" (bis 26. Oktober) erzählt die Geschichte noch einmal, aber oberflächlicher. Auf den titelgebenden Aspekt, eben die Geteiltheit, geht die Schau nicht ein: Dass sich Urfahr in den zehn Jahren anders entwickelt hätte, wird bloß behauptet. Schade. Auch in Berlin, der geteilten Stadt bis 1989, erinnert man an das Kriegsende: mit riesigen Fotos aus dem Mai 1945.

Mit ihrer Freundin, der Posch Mitzi, die sie in der Gemeinschaftszelle im Konzentrationslager Ravensbrück kennen gelernt hatte, konnte Käthe Sasso in der ersten Nacht des Todesmarsches nach Bergen-Belsen der SS entkommen. Unter dramatischen Umständen gelang den beiden die Flucht. Über die Reichsbrücke kamen sie dann nach Wien, sahen eine Straßenbahn. Mitzis Füße waren verwundet, die Mädchen stiegen ein. Die Straßenbahn war voll und die Schaffnerin (" sie hat ein Abzeichen getragen, ich sage jetzt nicht, welches") verlangte einen Fahrschein. "Bitte, wir zwei kommen aus dem KZ, wir haben kein Geld. Wir können uns keinen Fahrschein kaufen." Die Tramway war voller Leute. "Niemand hat ein Ohrwaschel gerührt. Die Schaffnerin mit dem schönen Abzeichen hat zur Schnur raufgegriffen und hat uns gezwungen, auszusteigen. Das war die Begrüßung in der Heimat."

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So schildert die Widerstandskämpferin Käthe Sasso die letzten Kriegstage inEvelyn SteinthalersWien 1945. (Milena, 18,90 €). Anhand von Erinnerungen von Zeitzeugen (Vilma Neuwirth, Käthe Sasso, Rudolf Gelbard und Richard Wadani) erzählt das Buch vom Kriegsende und den ersten Schritten in eine neue Zeit. Zudem schildert eine Chronik die letzten Kriegstage, die Befreiung und die ersten Monate des Friedens. Die "Vier im Jeep", der Schleichhandel, und die bewegende Weihnachtsansprache 1945 von Bundeskanzler Leopold Figl kommen vor: "Ich kann euch zu Weihnachten nichts geben. Ich kann euch für den Christbaum, wenn ihr überhaupt einen habt, keine Kerzen geben. Kein Stück Brot, keine Kohle zum Heizen, kein Glas zum Einschneiden. Wir haben nichts. Ich kann euch nur bitten: Glaubt an dieses Österreich."
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InAndreas Kubas BuchKinder des Kriegs(Ecowin, 19,95 €) erzählen Frauen und Männer, geboren zwischen 1928 und 1945, in persönlichen Geschichten, wie sie den Zweiten Weltkrieg erlebt haben. Der Buchhändler Helmut Godai aus Wien etwa, er bekommt heute noch eine Gänsehaut, wenn er daran denkt, wie er als Kindersoldat mit dem Gesicht zur Wand gestellt wurde, um erschossen zu werden. Und Dorit Sonnabend spürt in Mondscheinnächten ein Kribbeln auf der Haut, ihr Kopf vibriert, und sie hat Angst, dass sie wieder in den Luftschutzkeller muss, wie damals, als kleines Mädchen, zu dem die Mutter sagte: "Komm auf meinen Schoß, dann sterben wir gemeinsam."
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Eine unglaubliche, aber wahre Geschichte erzählt der amerikanische HistorikerStephen HardinginDie letzte Schlacht (Zsolnay, 25,60€): Anfang Mai 1945 kämpften GIs und Wehrmachtssoldaten Seite an Seite gegen die Waffen-SS, die auch nach Hitlers Selbstmord noch nicht aufgeben wollte. Auf einer mittelalterlichen Burg in Brixen kam es zum Showdown.
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Johannes SachslehnerundRobert Bouchal dokumentieren inAngriff auf Wien(Styria Premium, 26,99 €) die Ereignisse im April 1945, als Wien zum Verteidigungsbereich erklärt wurde und Hitler forderte, die Stadt müsse "bis zum Letzten" gehalten werden.
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Ein Standardwerk zum Kriegsende istManfred RauchensteinersDer Krieg in Österreich 1945(Amalthea, 29,95€). Der Zeithistoriker, ehem. Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien, beschreibt darin Österreich als Kriegsgebiet und die Geburtsstunde der Zweiten Republik.