"Ein Lakoniker mit Sex-Appeal"
Er findet "Sex unappetitlich. Und Worte meistens auch."
Aber mit zu Pointen verdichteten Worten hat Tex Rubinowitz – bekannter als Witzezeichner – Sonntag den mit 25.000 Euro dotierten Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen.
Und mit Sex plus Humor. Dabei, "machen wir uns doch nichts vor, ist man sich sowieso fremder als bei jedem anderen Kontakt zwischen zwei Zellhaufen", heißt es im ausgezeichneten Text "Wir waren niemals hier".
"Man beginnt vielleicht gemeinsam etwas (sechzig Sekunden Aufeinandergeklatsche), aber entfernt sich mehr und mehr, konzentriert sich doch nur auf sich, um am Ende in einer ratlosen Lähmung zu erstarren, wie zwei sterbende Karpfen. Was war das eben, wer oder was ist das da neben mir?"
Als Autor Autodidakt
Es gab ja in der Geschichte des Bachmannpreises immer wieder Teilnehmer, die mit Bierernst nichts am Hut hatten. Oder Aktionisten wie Rainald Goetz, der sich 1983 während seiner Lesung die Stirn mit einer Rasierklinge aufritzte.
Unblutig, aber dafür mit charmanten Pointen konnte Rubinowitz heuer punkten.
Für die Jurorin Hildegard Elisabeth Keller ist "Wir waren niemals hier", scheinbar nur beiläufig erzählt, der Text eines "Lakonikers mit Sex-Appeal".
Auch die Literaturkritikerin Meike Feßmann votierte "für einen Mann, der sich zum Affen macht".
Bei Rubinowitz erinnert sich der Ich-Erzähler an eine lang vergangene Beziehung mit Irma, einem Mädchen aus Litauen, eine problematische Beziehung mit einem "durch und durch pragmatischen Menschen".
Kein Sex
"Dieses Thema Liebe, Beziehung, Trennung und Nicht-Trennung wird hier ohne literarische Bedeutungsschwere verhandelt", sagte der Jury-Vorsitzende Burkhard Spinnen.
Und Daniela Strigl in ihrer Laudatio: "Eine wunderschöne und sehr seltsame Liebesgeschichte. Hier ist die Poesie nicht poetisch, und die Rätsel bleiben Rätsel – wie im richtigen Leben."
Für Rubinowitz ist "lustig zu sein" ohnedies "viel einfacher als schwere Kost".
Sein Publikum sei darauf konditioniert, dass er witzig sei: "Ich will das aber nicht."
Und Schreiben ist für Rubinowitz (Reisebuch: "Rumgurken"; Listen: "Die sieben Plurale von Rhabarber") nur eine von vielen Passionen.
Wie würde denn ein Werbeslogan über ihn lauten? "Er schmachtete sie von ferne an. Es durfte nicht sein, doch er wurde ihr Mann", antwortete Rubinowitz.
Der beobachtet die Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt schon seit vielen Jahren, weil die Veranstaltung "ein faszinierendes Happening für Literaturfans ist". In einer zauberhaften Atmosphäre. "Es ist ein Wunder, dass so etwas dort passiert, eingequetscht zwischen dem Iron-Man und dem Golf-GTI-Treffen."
Zum Wettlesen nach Kärnten fuhr der Cartoonist, Maler, Musiker, DJ in einem Lift in Tokio, Reisejournalist und Autor entspannt: "Man muss eine gewisse Naivität haben, um sich das zu trauen", sagte der gebürtige Deutsche, Jahrgang 1961, und Wahlwiener seit 30 Jahren, vor ein paar Tagen.
"Es gibt nur wenige Vorteile des Alters, aber einer ist, dass man sich nichts scheißt." Nachsatz: "Man denkt sich: Was soll schon groß passieren?"
Da wusste er noch nicht, dass er für seinem "halb fiktionalen" Text, "der Teil eines Romans werden könnte", zum 38. Bachmann-Preisträger gekürt werden würde.
Einen langfristigen Plan für eine Schriftsteller-Karriere habe er nicht. Träume habe er schon längst aufgegeben: "Ich wollte ursprünglich bildender Künstler werden. Aber das ist eine Illusion von jungen Leuten, wenn sie glauben, durch ihre Kunst reich zu werden."
Würde man sein Leben verfilmen, wie wäre dann der Titel dieses Films?
Rubinowitz: "Blumen am Arsch der Hölle".
Die weiteren Preisträger
Der Ingeborg-Bachmann-Preis wird seit 1977 in Erinnerung an die in Klagenfurt geborene Schriftstellerin Ingeborg Bachmann (1926-1973) verliehen. Im Anschluss die bisherigen Preisträger:
1977 - Gert Jonke 1978 - Ulrich Plenzdorf 1979 - Gert Hofmann 1980 - Sten Nadolny 1981 - Urs Jaeggi 1982 - Jürg Amann 1983 - Friederike Roth 1984 - Erica Pedretti 1985 - Hermann Burger 1986 - Katja Lange-Müller 1987 - Uwe Saeger 1988 - Angela Krauß 1989 - Wolfgang Hilbig 1990 - Birgit Vanderbeke 1991 - Emine Sevgi Özdamar 1992 - Alissa Walser 1993 - Kurt Drawert 1994 - Reto Hänny 1995 - Franzobel (eigentlich Stefan Griebl) 1996 - Jan Peter Bremer 1997 - Norbert Niemann 1998 - Sibylle Lewitscharoff 1999 - Terezia Mora 2000 - Georg Klein 2001 - Michael Lentz 2002 - Peter Glaser 2003 - Inka Parei 2004 - Uwe Tellkamp 2005 - Thomas Lang 2006 - Kathrin Passig 2007 - Lutz Seiler 2008 - Tilman Rammstedt 2009 - Jens Petersen 2010 - Peter Wawerzinek 2011 - Maja Haderlap 2012 - Olga Martynova 2013 - Katja Petrowskaja 2014 - Tex Rubinowitz
Eine sympathische, aber falsche Entscheidung (Der Standard) orten Medien am Tag nach Ernennung von Tex Rubinowitz zum Bachmann-Preisträger 2014. Schärfer als die Kritik an der Jury-Entscheidung fällt jene am "System Bachmann-Preis" an sich aus: Die Tage der deutschsprachigen Literatur würden zur Belanglosigkeit (Die Presse), der Jahrgang sei "so schwach wie die sauren Weine von 2010" (FAZ).
Salzburger Nachrichten, Anton Thuswaldner: "Tex Rubinowitz in einer Reihe mit früheren Bachmann-Preisträgern wie Olga Martynova, Uwe Tellkamp oder Terézia Mora kommt einer Verächtlichmachung der Preisidee gleich. Nicht, dass dieses Jahr ein Fest der großen Literatur gewesen wäre. Doch gab es Texte, über die sich ernsthaft sprechen ließ. Ach ja, Gespräch. Es kam ja kaum eines zustande. Da besitzt der wirklich rüde Text des Schweizers Michael Fehr, der dafür den Kelag-Preis (10.000 Euro) bekam, schon ganz andere Qualitäten. Der Autor, schwer sehbehindert, bekam den Text über Kopfhörer zugespielt und gab ihn dann an das Publikum weiter."
Der Standard, Stefan Gmünder: "Einen traurigen Clown und einen 'Lakoniker mit Sexappeal' machten die Juroren in Rubinowitz' Erzähler aus. Und es mag eine sympathische Entscheidung der Jury sein, ausgerechnet diesen Text mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis auszuzeichnen. Richtig ist sie nicht. Als Symbol könnte sie sogar verheerend sein. Rubinowitz, der vom Auslassen des berüchtigten Autorenvorstellungsvideos über die bewusst gewählte Alltagssprache bis zum rotzigen Vortrag des Textes alles tat, um Erwartungen, die hier an Autoren und Literatur gestellt werden, eben gerade nicht zu erfüllen, wurde schließlich mit einem literarisch mediokren Text zu Tode umarmt."
Die Presse, Harald Klauhs: "Drohte dem Bachmann-Preis 2013 das finanzielle Aus, läuft er nun Gefahr, wegen literarischer Belanglosigkeit sanft zu entschlafen. Ging anfangs noch leises Raunen durch die Fachbesucher, war am Ende schon kräftiges Murren vernehmbar: Warum nur so unerhebliche Texte? Ist die gegenwärtige Jury inzwischen so eine Art spanische Nationalmannschaft? Gut eingespielt, aber ohne jeglichen Biss. Oder liegt es am 'System Bachmann-Preis' an sich? Das macht die Juroren zu Geiseln der Autoren, die sie einladen. Vielleicht sollte man zwei Jurys einsetzen: eine anonyme, die die Texte auswählt, und eine öffentliche, die darüber diskutiert."
Neue Zürcher Zeitung, Roman Bucheli: "Die Texte waren in diesem Jahr - wie in manchen Jahren zuvor - von sehr durchschnittlichem Niveau und handelten, naturgemäss möchte man sagen, vornehmlich von Krisenphänomenen. Und auch die Jury befand sich während dreier Tage auf Formsuche. (...) Es passt denn zu diesem Jahrgang, dass mit Tex Rubinowitz, der auf Einladung von Daniela Strigl gelesen hat, ein Autor den diesjährigen, mit 25 000 Euro dotierten Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen hat, der ostentativ bis zur Provokation mit den äusseren Vorgaben des Wettbewerbs sein Spiel getrieben hat. Er verweigerte sich dem von allen Autoren produzierten Videoporträt, er las mit demonstrativer Nonchalance ("scheusslich gelesen, was fast schon wieder gut war", befand ausgerechnet Burkhard Spinnen) einen Text, der mit ebensolcher Unbekümmertheit alle konventionellen Ansprüche an die literarischen, künstlerischen Codes zu unterlaufen, ja verweigern schien."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Sandra Kegel: "So schlecht wie in diesem Jahr hat es um den berühmten Wettbewerb vielleicht noch nie gestanden. Dabei war er gerade erst voriges Jahr noch einmal mit viel Glück und Chuzpe gerettet worden, nachdem der Hauptsponsor ORF nach siebenunddreißig Jahren die Geldmittel streichen wollte. Und dann reist ein Jahrgang an den Wörthersee, der so schwach ist wie die sauren Weine von 2010. Von dem, was Klagenfurt voriges Jahr an aufregenden Texten zu bieten hatte, von Autoren wie Katja Petrowskaja, Heinz Helle, Roman Ehrlich oder Joachim Meyerhoff, war man 2014 Lichtjahre entfernt. Bei manchen der dreizehn Lesungen, die sich über drei Tage von morgens bis zum späten Nachmittag erstreckten, mochte man gar nicht mehr zuhören, so provinziell kamen sie daher. Als habe man sich in einen Volkshochschulkurs für kreatives Schreiben verirrt."
ZEIT ONLINE: "Und nun hat Tex Rubinowitz den Bachmannpreis gewonnen. Das ist, angesichts der Qualität der Wettbewerbsbeiträge in diesem Jahr, keine ganz große Überraschung. 'Ich habe', so hat es der neue Bachmannpreisträger in einem Interview gesagt, 'zu vielem keine Meinung, weil ich das einfach nicht durchschaue.' Das ist ein Satz, der möglicherweise auch auf die diesjährige Juryentscheidung und vor allem auf den Abstimmungsvorgang zutreffen könnte. Denn in der ersten Runde votierten sieben Juroren für sechs Autoren; nur der Schweizer Teilnehmer Michael Fehr erhielt die Stimmen der beiden Schweizer Juroren, was offensichtlich auf einer Absprache beruhte. Schon da wurde deutlich: Wer den Bachmannpreis in diesem Jahr bekommt, ist im Grunde wurscht. Jetzt bekommt ihn eben eine anarchische Spaßmacherfigur, 25.000 Euro noch obendrauf."
Die Welt online, Marc Reichwein: "Das soll's gewesen sein? Fragten sich Journalisten, Verlagsleute und sonstige Aficionados, nachdem auch der dritte und letzte Tag des 38. Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs keinen zwingenden Favoriten hervorgebracht hatte. (...) Dass am Ende tatsächlich Tex Rubinowitz den Bachmann-Preis gewann und keinen der "kleinen" Preise, für die man ihn allemal auf der Rechnung hatte, zeigt auch, wie sehr sich die Jury nach jenem Stück Lässigkeit sehnte, das den anderen Wettbewerbstexten fast durchweg abging. 'Überinstrumentiert', 'zu gewollt' oder auch 'prätentiös' waren häufige Diagnosen beim Bachmann-Wettbewerb 2014. Rubinowitz unterlief sie komplett, sein Text 'Wir waren niemals hier' war wohltuende Antischwurbeltherapie."