Kultur

Künstler als Musiker: Mehr als drei Akkorde sind Kunst

Wir alle wollen ja, sangen schon – sorry! – Nickelback, große Rockstars sein, oben am Hügel wohnen und 15 Autos besitzen. Erfolgreiche bildende Künstler sind da mitgemeint: Viele verließen gerne das Atelier, um Bühnen zu erklimmen, Mikros oder Instrumente zu ergreifen – und dann, oft mit revolutionärem Gestus oder brutalem Dilettantismus, Musik zu machen.

Und zwar Musik, die sich – je nach Jahrzehnt – gerne über einen Gegner definiert. Anfang des 20. Jahrhunderts etwa gegen die technische und kompositorische Finesse der damals übermächtigen klassischen Musik: Marcel Duchamp führte 1912, noch vor seinem ersten Ready Made, Zufalls-Musik auf.

Yves Klein hielt den überkomplexen klassischen Kompositionen 1960 ein Orchesterwerk entgegen, in dem 20 Minuten lang nur ein Ton gehalten wird. Und dann 20 Minuten Schweigen folgt.

Die Wiener Aktionisten lösten später die letzten Strukturen auf, Hermann Nitsch spielte Orgel-Cluster, Gerhard Rühm sang einen bitterbösen Chanson auf die hiesige Reinwaschung.

Später dann, als die zeitgenössische Orchestermusik sich ohnehin an der klassischen abarbeitete (und diese aus dem Fokus geriet), gingen die bildenden Künstler in ihren Ausflügen ins Musikalische auf Tuchfühlung mit dem Rock und dem Punk. Vor allem von letzterem kam die Kunstszene nicht mehr los, auch als das Phänomen schon längst wieder verglüht war.

Die Musik auch der bildenden Künstler wurde rabiat, verschwitzt, selbstverliebt, anti. Und laut.

Beispiele kann man in der Ausstellung „ Doppelleben“ im mumok nachhören: Alan Bermowitz schlägt Anfang der 70er mit seiner Band Suicide dem Rock ’n’ Roll eine offene Wunde; es gibt Elvis-Gesang und Punk-Lärm auf der Bühne. Don Van Vliet schaut als Captain Beefhart den Blues so schief wie möglich an. Throbbing Gristle bringen Fluxus und Happening in englische Schulen und singen mit den dortigen Schulchören „England is a toilet“.

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„Austro Pop“

Ab dieser Zeit gestalten sich die musikalischen Eskapaden recht konsequent als roher Ausbruch aus der kontext- und konzeptüberladenen Kunstarbeit.

Peter Weibel singt zu stampfenden Rhythmen, dass er krank im Kopf und im Genital ist; und tut das ausgerechnet in einer „Austro Pop“-Sendung des ORF.

Martin Kippenberger tanzt wild im 20er Haus rum, und schreit in ein Mikrofon, das leider ausgefallen ist. Den Mitstreiterinnen von Pipilotti Rist bei Les Reines Prochaines sieht man an, wie selbstironisch und gleichzeitig fantastisch sie sich auf der Bühne fühlen.

Eine Beobachtung, die sich aus dem Wandern zwischen Videoprojektionen und Kopfhörern ergibt: Das, was Populärmusik eigentlich ausmacht, wird dabei durchgängig auf Distanz gehalten. Irgendwo zwischen musikalischem Viertelkönnen und der Kompromisslosigkeit im Vortrag entsteht ein Fragezeichen, das über vielen Darbietungen hängen bleibt: Ist das jetzt so schlecht, dass es wieder gut ist? Von welcher Ebene aus muss man da hinhören – darf es dem inneren Musikfan die Haare aufstellen, ohne dass der innere Kunstfan zu schimpfen anfängt?

Der Schau- und Hörwert der Ausstellung mit vielen ungewöhnlichen Live-Aufnahmen ist jedenfalls groß; man sollte sich wirklich viel Zeit nehmen, um sich an der chronologischen Entwicklung in den zweiten Stock hinaufzuhangeln.

Elektronisch

Die endet bei der elektronischen Musik und beim Pop. Erstere ist ohnehin besonders eng mit der bildenden Kunst verknüpft. Auch deren frühe Stars wie Kraftwerk und Can kommen von den Kunstunis. Heute macht Carsten Nicolai, auch in der Ausstellung, als Alva Noto fantastisch ätherische Noise-Musik.

Der vom Streamingzeitalter geschwächte Pop wiederum liegt ermattet am Boden. Ragnar Kjartansson holt im Finale noch einmal den Defibrillator hervor und jagt dem Genre mit übertriebensten Spaß-Triumphgesten ein letztes bisschen Leben ein.

Es war schön mit ihm.

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