Auch Glühbirnen sind keine einfachen Geschöpfe
Von Peter Pisa
Es ist bezeichnend für "Mr. Gwyn", dass er einer slowenischen Historikerin, mit der er Sex hatte, anschließend eine von ihm zusammengestellte Liste von 13 schottischen Whisky-Namen in die Hand drückte.
"Was ist das?"
"Schöne Namen. Ich schenke sie dir."
Das ist bezeichnend für den gesamten Roman und für den Italiener Alessandro Baricco sowieso, der aus dem Nichts etwas Geheimnisvolles macht.
Da erblasst selbst im fernen Japan der geniale Nebelwerfer Haruki Murakami.
Mit "Seide" wurde Baricco 1997 weltberühmt, leicht wie ein Seidentuch sei die Geschichte vom französischen Seidenraupen-Importeur Mitte des 19. Jahrhunderts und seinem Begehren.
So hieß es damals in einer der vielen positiven Kritiken.
In den folgenden Büchern wurde Bariccos Zauber zur Marke und zur Masche, und auch wenn er jetzt von seinem Mr. Jasper Gwyn charmant und zärtlich erzählt, denkt man beim Lesen stets an die Tricks des Autors.
Keine Bücher mehr
Gwyn ist Engländer und ein bekannter Schriftsteller. Im Alter von 43 will er keine Bücher mehr schreiben.
Er will sich auch nicht mehr mit der Hand am Kinn in nachdenklicher Pose fotografieren lassen. (Einer weniger immerhin.)
Was Gwyn interessiert, ist: Er porträtiert die Leut’ in seinem Atelier. Nackt müssen sie sein, tagelang, jeweils vier Stunden. Nein, er malt sie nicht, sondern beobachtet sie und schreibt das Porträt. Gwyn kopiert gewissermaßen die Menschen. Er sagt: Er bringe sie dadurch nach Hause zurück ...
Wie immer nähert sich Alessandro Baricco bedeutungsschwanger der Liebe und dem Tod und der Schriftstellerei. Er findet nebenbei, dass Glühbirnen keine einfachen Geschöpfe sind und lässt sich auch über Briefkuverts aus, die nach Zitrone schmecken.
Nun will man freilich wissen, wie diese Porträts ausschauen. Es sind keine Beschreibungen, sondern Geschichten. Es sind Bücher, wenngleich dünne.
Deshalb hat "Mr. Gwyn" noch einen zweiten Teil, die Porträts nämlich. Man darf sich aber nicht wundern, wenn einmal kein Menschen, sondern – eine Hotellobby porträtiert wird. Wie die Hotellobby dadurch die Möglichkeit bekommt, nach Hause zu gelangen, ist nicht bekannt.
Alessandro Baricco:
„Mr. Gwyn“
Übersetzt von Annette Kopetzki.
Verlag Hoffmann und Campe.
320 Seiten.
22,60 Euro.