Sherlock Holmes’ Vater erschlug Robben und harpunierte Wale
Von Peter Pisa
Es gibt kluge Leute, die meinen: Wäre Arthur Conan Doyle 1880 nicht sechs Monate auf dem schottischen Walfänger "Hope" als Schiffsarzt beschäftigt gewesen – Sherlock Holmes wäre 1887 nie erfunden worden.
Naja.
Doyle las an Bord den "Tristram Shandy" von Laurence Sterne; und er schrieb immerhin ein Gedicht über Tabak bzw. reimte über die Unterwasserwelt, dass eine Mutter "amöbenhaft schielte", während ein Vater "als Walfutter diente" …
Champagner
Aber das Tagebuch des damals knapp 21-Jährigen Medizinstudenten verrät vor allem anderes:
Conan Doyle hatte Boxhandschuhe mit und boxte zur Ertüchtigung gern mit den Matrosen (deren Wunden er sodann – drittes Semester! – verarztete).
Er schoss auf Bären, auf Vögel, Seelöwen, Wale – er erschlug junge Robben und häutete sie – er präparierte tote Eismöwen und Kegelrobbenflossen.
Tiere waren für ihn nicht viel mehr als Zielscheiben.
In Pausen trank er mit dem Kapitän der "Hope" Champagner und diskutierte mit ihm, wobei dieser Kapitän die Meinung vertrat, Charles Dickens könne Thackeray nicht das Wasser reichen ...
Doyle erinnerte sich Jahrzehnte nachher an diese "herrliche Zeit", in der er zum Mann geworden sei … Jaja, beim Töten geht das alles sehr schnell.
Sympathie wird man beim Lesen mit dem Autor nicht haben. Er war weniger Arzt als Schütze und Jäger, und er beruhigte sein Gewissen angesichts toter Tieraugen, indem er sich vorsagte, wie wichtig die Beute für die Menschheit sei.
Denkt er dabei an das gewinnbringende, elastische Fischbein der Grönlandwale, das zur Herstellung von Korsetts unverzichtbar war?
Was bringt uns "Heute dreimal ins Polarmeer gefallen" ? Es ist eine wunderschöne Ausgabe, erstmals übersetzt. Auch in Faksimile sind die Eintragungen abgedruckt, inkl. Zeichnungen der Boote, Wale, Vögel. 200 Fußnoten lassen nichts ohne Erklärung. Vier spätere Schriften Doyles über die Arktis ergänzen.
Das Tagebuch zeigt (und das ist sein hauptsächlicher Wert), wie der Alltag der Walfänger aussah.
Und er zeigt auch, dass man Meeresschnecken nicht unbedingt mit fettem Schweinefleisch füttern sollte: Conan Doyle hatte eine, die er in einem Gurkenglas aufbewahrte. Er nannte sie John Thomas.
Doyle wurde auf seiner Reise selbstbewusst.
Zum Schriftsteller reifte er, als er schon praktischer Arzt war und noch nicht viele Patienten hatte. Da saß er in der Ordination in Portsmouth und schrieb.
Zum Beispiel schrieb er:
"Es gibt nichts Trügerischeres als eine offensichtliche Tatsache."
KURIER-Wertung