Kultur

Applaus für eine Garagentorfernbedienung

Wer "Straße der Narren" NICHT gelesen hat, und das waren vor 22 Jahren, als Richard Russo nahezu unbekannt war, sehr viele, fast alle lasen NICHT, der hat damals etwas versäumt ... aber das gehört zum Leben.

"Ein Mann der Tat" ist die nächste Chance, den großen amerikanischen Erzähler Richard Russo und seine kleine Stadt North Bath im Staat New York kennenzulernen, durch dessen Friedhof eine zweispurige Straße führt.

Es sollte jetzt keine Ausreden mehr geben.

Man sollte ebenso sehnsüchtig auf etwas Neues von Russo warten wie zum Beispiel auf den nächsten Roman von Jonathan Franzen, Pynchon oder auf das nächste Heft mit Lucky Luke.

Rasch wird man Mrs Alice Moynihan begegnen, der Frau des Bürgermeisters. Sie ist noch keine 60, aber leider dement.

Manchmal reißt sie ihr rosa Telefon daheim aus der Wand, setzt sich damit in den Park und telefoniert, wie sie es bei anderen Frauen, die ein Handy besitzen, gesehen hat. Niemals wird man über sie lächeln – obwohl es viel beim Lesen zu lächeln gibt. Russo (67 ist er) hat staubtrockenen Humor. Aber nicht auf Kosten von Alice. Sie ist eine ganz Liebe.

Um sie nach Hause zu bringen, kommt Polizeichef Raymer gern zu spät zum Begräbnis von Richter Barton Flatt. Das war ein fieser Typ.

Ohnmächtig

Wenn Chief Raymer am Grab des Richters weint und wackelt, hat das damit zutun, dass nur wenige Meter entfernt seine geliebte Frau begraben liegt.

Sie hatte ihn vor einem Jahr verlassen wollen, ihre Koffer standen schon bereit. Aber sie stürzte vor der Abreise daheim die Treppe hinunter und brach sich das Genick.

Raymer würde zu gern wissen, mit wem sie ihn betrogen hatte bzw. zu wem sie ziehen wollte.

Im Auto fand er einen fremden Garagentoröffner. So könnte er dem A... auf die Schliche kommen. Während er auf dem Friedhof mit der Fernbedienung im Hosensack spielt, sie drückt und drückt, dass sich die Leut’ wegen der Ausbeulung wundern, wird er ohnmächtig und fällt ins offene Grab ...

Nase gebrochen.

Und das mögliche Beweisstück verschwunden. Vielleicht unten beim Sarg?

Das müsste genügen, um neugierig zu machen. Man wird auch Bauunternehmer Carl treffen, der seit seiner Prostataoperation noch mehr an Sex denkt. Und eine Englischlehrerin, tot, aber präsent. Und Chiefs Kollegin. Und eine Giftschlange. Und und und.

Man kommt den Menschen in North Bath sehr nahe. Man nimmt viel von ihnen auf und mit. Das sind keine Plastikmanderln. Sie leben und wollen beachtet werden. Man braucht folglich Pausen, wie ein Therapeut.

Im übrigen wird sich ein Garagentor öffnen.

Richard Russo:
„Ein Mann der Tat“
Übersetzt von
Monika Köpfer.
DuMont Verlag.
688 Seiten.
26,80 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern