Kultur

Anna Baars Rede zum "Fest der Freude": Wann wir Grund zu feiern haben

Am heutigen Mittwoch findet am Wiener Heldenplatz wieder das „Fest der Freude“ statt. Dieses ist dem Gedenken an die Opfer und der Freude über die Befreiung vom Nationalsozialismus gewidmet. Bundespräsident Alexander Van der Bellen eröffnet, Zeitzeugin Rosa Schneeberger hält die Festrede, Musiker der Wiener Symphoniker spielen, Katharina Stemberger moderiert – und liest diesen Text von Autorin und Staatspreisträgerin Anna Baar:

Im bald 80sten Jahr nach der Überwindung des flammenden Infernos wirkt der Ort des Geschehens beinah paradiesisch: Dieses Land zählt heute zu den reichsten, schönsten und sichersten Flecken Erde. Die Bürger und Bürgerinnen leben als freie Menschen, gleich vor den Gesetzen ... Es gibt so viele Gründe für ein Fest der Freude – wer wollte sie alle aufzählen? –, je weniger allerdings an den Brand erinnert, desto leichter wird das Spiel der neuen Zündler.

Alle Inhalte anzeigen

Unverdächtig

Wer sich in Sicherheit wiegt, wird gern übermütig, meint sich leicht erhaben über die Verführten und Verirrten einer Welt von gestern, denen die Gequälten, Vertriebenen und Ermordeten des faschistischen Terrors verhasst oder gleichgültig waren, oder Zeitgenossen, die das Wort „Antifaschismus“ noch heute verdächtig finden.

Die Übermenschenpose der Neuzeit wirkt unverdächtig. Man steht ja bei den Opfern, auf der „richtigen Seite“. Und die Erinnerungsarbeit ist leicht zusammengeschustert

aus der Schuld der anderen, für die man sich allenfalls geniert, aber nie haften musste

– ein Gelegenheitsjob mit dem Zusatznutzen der Geselligkeit und Gewissensruhe.

Den Ablass gibt es billig. Es braucht nur das Bekenntnis zum überlieferten Unrecht, ein Zeichen der Anteilnahme am Schicksal der Verfemten, dazu das Gelöbnis, niemals zu vergessen; doch in den Gedächtnislücken sammelt sich unbehelligt der Lurch der erbeigenen geistigen Abgestumpftheit.

Wir feiern die Bezwingung der Gnadenlosigkeit und vergessen darüber, was wir einander antun. Wie man sich wieder beflegelt, abkanzelt und bloßstellt, wie der Hass auf die Schwachen wieder überhandnimmt! Der Anfang, dem zu wehren wir versprochen haben, ist in vollem Gange. Zwar ruhen die Waffen noch, aber das Kriegsgeheul wird von Tag zu Tag lauter. Gleichbehandlungsgesetze oder Ehren-Werte wie Toleranz und Vielfalt werden kaputtgetreten von neuen Vigilanten und Normalitätsaktivisten, die nur darauf aus sind, Abweichler abzupassen und in die Enge zu treiben.

Furcht

Mehr als Obrigkeiten fürchtet man Seinesgleichen, den Ausschluss aus dem Wir, dem man angehören will. Furcht aber macht verführbar. Die Profiteure der Angst reiben sich die Hände und schüren das Feuer wieder, indem sie Gefahren erfinden oder überspitzen, um sich den Besorgten mit simplen Heilsversprechen als Retter anzudienen. Die Volksverführer wissen: ein verschüchtertes Volk duldet Revisionismus, duldet den Flirt mit dem Unheil, aus dem es gestern noch Lehren ziehen wollte, duldet die Diskreditierung staatlicher Institutionen, den Rückfall ins Autoritäre, die Hetze gegen jene, die anders glauben, lieben, hoffen oder reden. Ein entmutigtes Volk wird selbstgerecht und feige. Wo es sich einreden lässt, bedroht und geprellt zu werden, erniedrigt und beleidigt, wird es angriffslustig. Der Opferstatus gilt ihm als Freibrief, sich zu rächen, das Erbarmen aber als Indiz von Schwäche. Wir sind keine besseren Menschen, solange wir Feindschaft hegen. Niemand ist gefeit vor dem großen Irrtum.

Wir können allenfalls feststellen, was wir zu lernen haben von jenen, die den Krieg selbst erleiden mussten. Ihre Geschichten vorm Vergessen zu bewahren, wird Festigkeit erfordern, wo nur als glaubhaft gilt, wer als Betroffener durchgeht. Wenn es uns aber glückt, das Vertrauen ineinander wiederzugewinnen, wenn wir das größere Wir um des Friedens willen wieder ins Auge fassen in all seinen Farben, Wundern und Kuriositäten, haben wir Grund zur Freude.