Andrea Berg in Wien: Habt ihr auch ’nen Drachen zuhause?
Von Dieter Chmelar
Die Männer sind das Hauptthema des Abends. Oder besser gesagt: das Leid-Motiv. In der ausverkauften Stadthalle sind sie freilich eine deutliche Minderheit im Rang einer exotischen Spezies – oft zum Abschuss freigegeben, letztlich aber unter Artenschutz.
"Was is mit Ihnen?", fragt mich ein Herr in der Warteschlange, "Sie bei der Berg – ham S’ leicht aa a Wette verloren?" Nein. Und doch. Denn:
Nach freiwilligem und sogar vorsätzlichem Konzertbesuch verlor ich eine Wette mit mir selbst. Andrea Berg, einst Krankenschwester in Krefeld, war keine bittere Pille. Vielleicht ein Placebo, dann aber ein perfekt dosiertes.
Auch wenn man das Genre generell "genant" fände, womit man sich übrigens nur als Missing Link zwischen Hybris und Banausentum outet: Die Berg ist ein Schlager. Fabelhafte Stimme, famose Band, fulminante Show. Respekt.
Seelenbeben
Noch als Andrea Ferber tourte sie mit Tanz-Combos und Ball-Beschallern durchs weite Land der Säle – Turnsäle, Festsäle, Gemeindesäle. Den ersten TV-Auftritt (1993) im Schlagermagazin des Mitteldeutschen Rundfunks quittierte der damalige Moderator Bernhard Brink abschätzig mit den Worten: "Sie sollten Arzthelferin bleiben."
Sieben Echos, drei Volksmusikkronen, ein Bambi und allerlei goldene Hennen bzw. Stimmgabeln später hält sie rare Rekorde: "Du hast mich tausendmal belogen" ist seit Jahren unter den drei meistgespielten Singles, ihr "Best of"-Album gar das des Jahrzehnts – seit Beginn der Aufzeichnung deutscher Charts (1962) lag kein anderes so oft in den Spitzenrängen. Berg schlägt Beatles, ABBA, Pink Floyd, Madonna und vor allem auch Helene Fischer um Längen. 20 Mal Gold und einmal Zehnfach-Platin sind die funkelnde Ausbeute des Berg-Werks. Noch einmal: Respekt.
Aber was ist ihr Geheimnis? Dass sie keines aus sich macht. What You see is what You get. Und wenn "Seelenbeben" auf den Plakaten zur aktuellen Tour prangt, dann hält sie einfach Wort.
Zugegeben: Auch mit einfachen Worten. Die Textbausteine ihres Liedguts sind die Grundfeste ihrer Branche – Glück, Liebe, Himmel, Paradies, Nacht, Herz, Träume. So goldig wie einsilbig.
Drachensteigen
Die Berg- und Talfahrt läuft über einen gewaltigen feuer-speienden Styropor-Drachen, dessen Ringelschweif tief ins Publikum hineinmäandert.
Wenn Flammen aus den Nüstern dringen und die Berg dicht daneben "Lass mich in Flammen stehen", "Wenn unsere Herzen Funken sprühen" oder "Feuervogel, halt mich fest, auf der Suche nach dem Sinn" intoniert, muss jeder im Saal an den Unfall im Vorjahr denken, bei dem sie Brandwunden an der Schulter davontrug, die sie demnächst mit Tattoos übertünchen will.
Ihr Fabel-Reptil nennt sie "Spinnstu", denn, so Berg unter tosendem Beifall: "Zu Beginn meiner Karriere sagte jeder, dem ich meine Träume erzählte: Spinnst du?" Heute ist es ihr Talisman: "Habt ihr auch ’nen Drachen zuhause?"
Männermorden
Bergs Predigt ist das Hohelied auf all die Männchen in ihrem Beziehungsreich. "Wären mir diese Vögel nicht vor die Flinte gelaufen ", sagt sie unter vieltausendstimmiger weiblicher Begeisterung, "gäbe es doch die ganzen Lieder nicht – ihr habt mich inspiriert. Ich sage nur: Danke, Jungs!" In der Selbstironie gelingen ihr auch so schön traurige Zeilen wie: "Irgendwo bei dir liegen meine Träume rum".
Bilanz nach fast drei Stunden (siehe oben): Eine verlorene Wette, aber ein gewonnener Abend. Ein letztes Mal, Frau Berg: Respekt.