Kultur

Als man noch ein Buch ins Grab mitnehmen konnte ...

"Es gibt nichts Schlimmes, außer ich bin es", lautet eine Eintragung von Peter Handke in sein Tagebuch des Jahres 2015.

Das kann man sich gut vorstellen, dass es so ist, aber es kann uns im Moment egal sein – Hauptsache, es sucht jemand die Poesie, und es entstehen Bilder, noch dazu in bloß ein, zwei Sätzen.

Man muss keinen dicken Roman Handkes lesen, um etwas zum Sehen zu bekommen, das man vielleicht noch nie zuvor gesehen hat. Es reicht die neue Sammlung "Vor der Baumschattenwand nachts" aus dem Salzburger Jung und Jung Verlag.

Fliegen

Tagebucheintragungen zwischen 2007 und 2015 sind das bzw., wie es der Dichter nennt, Zeichen und Anflüge von der Peripherie.

Man könnte (oft) auch Aphorismen dazu sagen oder (manchmal) Gedichte, Weniges geht peinlich daneben. Dass Handke zwei Stubenfliegen ins Freie zu "Mutter Natur" bringt, ist nicht besonders bemerkenswert.

Hingegen: Der Kitzel des Flügelschlags einer Eintagsfliege im Handteller ist als Unvergleichlichkeit, der ist schon eine kleine Notiz wert.

Wie schon im Band "Gestern unterwegs" vor zehn Jahren kann man sich Peter Handke vorstellen, wie er meist zu Fuß und immer schwebend reist, mit Block und Blei, ganz versunken.

Es war und ist erlaubt, seine Texte aus der Hand zu legen. Sie verlangten Nachdenkpausen, und bei "Gestern unterwegs" seufzte man (fast): Was waren das für Zeiten, als man noch ein Buch ins Grab mitnahm!

Auch "Vor der Baumschattenwand nachts" wäre ein guter letzter Gefährte.

"Alles, was ich finde, habe ich selbst einst verloren" ist solch ein Satz, für den man etwas Ruhe benötigt. Oder: "Ich öffnete dem Besucher die Tür und fragte ihn: Wer bin ich?"

Peter Handke beobachtet Gänseblümchen, sinniert über den Apfelgott, über leere Schwimmbecken, die Schritte des Briefträgers, er ist kindisch ("A und B sitzen im Klee, und A und C laichen im See"), er denkt über das Wort "und" nach ...

... und wenn man dann bei ihm die Aufforderung liest: "Genug gesehen? Genug gehört? Mitnichten" – no, dann hat man ... Pech gehabt.

Peter Handke:
„Vor der Baum-schattenwand nachts“
Verlag
Jung und Jung.
400 Seiten.
28 Euro.