Als Elvis Presley "Guadalajara" sang
Von Peter Pisa
Der 65-jährige Spanier, der mit "Mein Herz so weiß" (1996) weltberühmt wurde, schreibt seine Romane immer flanierend, damit sich Zeit nehmen muss, wer sich darauf einlässt.
Das ist sein Zeichen gegen die zunehmende Infantilität.
In Marías' zuletzt erschienenem Roman "So fängt das Schlimme an" hat eine Figur eingangs groß angekündigt, sie werde jetzt etwas über einen Freund und dessen schamloses Verhalten gegenüber Frauen sagen.
Nach 70 Seiten wird derjenige, der darauf wartet, endlich etwas zu erfahren (der Leser!), leicht unruhig.
Doch er bekommt keine Chance: "Wie eilig du es hast, mein ungeduldiger Freund ..."
Deshalb ist es bei "Keine Liebe mehr" zwar logisch, aber ungewohnt: Die 30 Erzählungen aus rund 40 Jahren sind ein rasches Feuerwerk an höchst verschiedenen Raketen.
Gleich wird losgelegt wie z. B. in "Geringe Skrupel":
"Meine Geldnot war so groß, dass ich mich zwei Tage zuvor für die Probeaufnahmen zu diesem Pornofilm gemeldet hatte ..."
Oder "Eine Liebesnacht". Hier lautet der erste Satz:
"Die sexuelle Beziehung zu meiner Frau, Marta, ist sehr unbefriedigend."
Filmen, umbringen
Auch jene 25 Jahre alte Geschichte, die von Wayne Wang verfilmt wurde, ist in der Sammlung vertreten (AUCH in dieser Sammlung, um genau zu sein):
Ein älterer Mann filmt jede Nacht seine junge Begleiterin beim Schlafen, weil er sie eines Tages ... wird umbringen müssen.
Viel los auf den 500 Seiten. Mörderisches, Gespenstisches, und Elvis Presley spielt mit. Sehr sympathisch ist er im Gegensatz zu den Wichtigtuern, die ihn nach Mexiko begleiten. Das ist ein heiteres Element im Buch.
Allerdings hat sich Marías dafür mehr als 50 Seiten Platz genommen, und schon kann er sich seiner geliebten Langsamkeit widmen. Er beginnt also mit einer Abhandlung über Verfolgtwerden und Dringlichkeit des Hasses ... wie eilig du es hast, mein ungeduldiger Freund ..., ehe Elvis Presley in Mexiko-Stadt unter die Gangster gerät.
Dabei wollte er bloß Spanisch lernen, um im Film "Spaß in Acapulco" akzentfrei singen zu können: Guadalajara, Guadalajara, ch, ch, ch.
Javier Marías:
„Keine Liebe mehr“
Übersetzt von Susanne Lange, Elke Wehr und Renata Zuniga.
S. Fischer Verlag. 512 Seiten. 25,70 Euro.
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern