Alia Luque: "Ich lehne den Begriff ‚Heimat‘ ab"
Von Thomas Trenkler
Alia Luque, 1978 in Barcelona geboren, studierte unter anderem Deutsche Literatur – und kam 2004 mehr oder weniger durch Zufall, während eines Aufenthalts in München, zum Theater. Seit 2011 ist sie freischaffende Regisseurin. Nun inszenierte sie zum zweiten Mal, nach "die hockenden" von Miroslava Svolikova, eine Burgtheater-Uraufführung: "Lass dich heimgeigen, Vater oder Den Tod ins Herz mir schreibe" von Josef Winkler.
KURIER: Das Burgtheater-Auftragswerk ist der Monolog eines Sohnes an einen abwesenden Vater – und eine ziemliche Herausforderung, oder?
Alia Luque: Als Regisseurin bevorzuge ich Texte mit einer stark geformten Sprache. Da man das im Burgtheater weiß, hat man mir das Stück angeboten. Winklers Sprache ist extrem schön und herausfordernd. Sie verlangt ein Höchstmaß an Konzentration, sowohl für mich beim Inszenieren, als auch für die Schauspieler und erst recht das Publikum. Beispielsweise gibt es Sätze, die über eine ganze A4-Seite laufen – und das auch noch im Konjunktiv. Obwohl der Text demnächst in erweiterter Version als Roman erscheinen wird, ist das Material, das Winkler für uns geschrieben hat, für das Theater gedacht.
Auf der Bühne des Kasinos steht aber nicht nur ein Schauspieler, der Klage führt.
Winklers Stück ist eine Icherzählung. Und wir haben dieses Ich auf fünf Darsteller aufgeteilt. Auf der Bühne stehen aber nicht fünf Alter-Egos von Josef Winkler verschiedenen Alters, sondern fünf verschiedene Annäherungen – an die Sprache wie an die Motive. Der eine will Frieden machen mit dem Vater, der andere vielleicht nicht. Es ergibt sich dadurch ein Panoptikum an Möglichkeiten, aber immer mit dem gleichen Konflikt im Zentrum. Der Text ist nicht nur eine Anklage, sondern auch eine Liebeserklärung.
Er ist zudem sehr, sehr lang.
Zeit erzählt sich mit Zeit. Wir haben allerdings gekürzt. Beim Lesen hat sich gezeigt, welche Passagen für welchen Schauspieler am besten geeignet sind.
Winkler hat Sie zur Vorbereitung durch seine Heimat, die Sautratten, geführt und Ihnen geschichtliche Hintergründe etwa zum "Judenmassenmörder Odilo Globocnik" erklärt?
Wir waren nicht nur auf den Sautratten unterwegs, sondern haben auch sein Heimatdorf Kamering besucht. Er hat uns alle Orte gezeigt – und uns auf alle Schandflecke hingewiesen. Über Globocnik haben wir uns allerdings nicht ausführlich unterhalten, stattdessen sind wir zur Mösslacher Almhütte, wo der Judenmassenmörder gefangen genommen wurde, hochgefahren, haben auf den Weissensee hinunterge-schaut – und geschwiegen.
Heben Sie auch die Zitate im Dialekt auf eine abstrakte Ebene?
An unserem Abend ist alles abstrakt. Die Schauspieler sprechen Hochdeutsch, das Kärntnerische wird ausgestellt, Lokalkolorit findet nicht statt. Wir entwerfen einen Sehnsuchtsort, an den man sich hinträumt, an dem man aber auch auf sich selbst zurückgeworfen wird: mit allen Versehrungen und Wunden, allen "Freuden und Leiden".
Wie empfinden Sie die gegenwärtige Situation in Ihrer Heimat Katalonien?
Erstens lehne ich den Begriff "Heimat" ab. Zweitens lebe ich schon seit über 20 Jahren nicht mehr in Katalonien. Also wäre es anmaßend, wenn ich mich jetzt und hier zu diesem Konflikt äußern würde.
Sie haben unter anderem Arabistik studiert. Das ist in Spanien aufgrund der maurischen Einflüsse nachvollziehbar. Aber warum Deutsche Literatur?
Ich wurde geboren, als die Demokratie in das Land zurückkehrte. Ein "Kind der Verfassung", so wird mein Jahrgang in Spanien genannt. Als die Sozialisten in den 1980ern die Regierung bildeten, war eine der wichtigsten Aufgaben, ein Bildungssystem für alle anzubieten. Viele unserer Eltern hatten bereits sehr früh, mit 13 oder 14 Jahren, arbeiten gehen müssen. Erst in meiner Generation gab es zum ersten Mal Zugang zur Uni. Und warum ich Deutsche Literatur studiert habe? Warum nicht?