Alexander Pschill: Es gibt Menschen ohne Durststrecken
Von Barbara Reiter
Herr Pschill, Sie sehen müde aus.
Wir haben uns vom Jahreswechsel noch nicht erholt. Die Kleine ist früh schlafen gegangen und wie immer um sechs Uhr aufgestanden.
Sie sind 46, Ihre Tochter ist eineinhalb. Es muss eine große Umstellung gewesen sein, nach so langer Zeit ohne Kind.
Die Allergrößte in jeder Hinsicht.
In einem Interview sagten Sie einmal, Sie seien, wie viele Schauspieler, sehr auf sich bezogen. Steht das einem Kinderwunsch nicht im Weg?
Das Gute daran ist ja gerade, dass man die berufsbegleitende Egomanie abstellen muss. Das ist eine Rosskur, eine Kaltwasserkur. Wenn man es richtig machen will, und den Anspruch habe ich als Vater, muss man aufhören mit der Ichbezogenheit.
Muster zu durchbrechen ist so schwer. Haben Sie einen Tipp, wie es gehen kann?
Radikal, das wäre der Tipp, eine Familie zu gründen. Es muss dann einfach sein. Denn es gibt dieses Wesen, das man mehr liebt als sich selbst. So passiert alles andere von alleine.
Vor jedem Interview frage ich mich, wie der Mensch sein wird, dem ich begegne. Sobald Sie angefangen haben zu sprechen, waren Sie präsent. Kommt das vom Schauspielerberuf?
Ich glaube, da sind wir wieder bei der Egomanie. Es geht um Aufmerksamkeit und das Bedürfnis, gesehen zu werden. Eigentlich ein Defizit, das man entweder nicht hat oder mit dem man gesund umzugehen lernt. Die dritte Variante ist, dass man Schauspieler wird und diesen Missstand pflegt.
Das klingt ungesund.
Irgendwann fällt es einem auf den Kopf und dann fängt man an, sich selber und seinen Beruf anders zu sehen. Das ist dann ein sehr wichtiger und gesunder Moment. Ab dann wird es britisch.
Abwarten und Tee trinken?
In Großbritannien ist es so, dass nicht der Schauspieler der Held, sondern die Rolle interessant ist. Hamlet ist der Heilige und nicht der Herr oder die Frau Doyenne. Man fängt an, das Theater wissenschaftlich zu sehen. Das ist es auch, was mich und Gleichgesinnte wie meine Frau so gereizt hat, ein eigenes Theater zu gründen. Wir wollten etwas ausprobieren.
Sie waren Ensemblemitglied am Theater in der Josefstadt. Wäre es nicht klüger gewesen, während der Familiengründung etwas Sicheres zu haben, als in Zeiten wie diesen ein Theater zu eröffnen?
Das frage ich mich jeden Tag in der Früh und beantworte mir das je nach Betriebsverfassung. Wenn die Hütte voll ist, dann ist das die Antwort. Wir machen das, weil die Leute drauf stehen. Es gibt den Austausch zwischen der Bühne und dem Zuschauerraum, der Funke springt über, das Experiment geht auf. Wenn das nicht passiert, quält man sich mit der Frage, warum hab ich nur? Aber wenn man es nicht probiert, weiß man es nicht.
Was ist mit dem finanziellen Risiko?
Natürlich hat es was gekostet, aber es soll hier niemand draufzahlen, schon gar nicht Schauspieler und Künstler. Es soll sich für jeden ausgehen, da zähle ich selbst auch dazu. Aber es soll ein Abenteuer werden und keine Not entstehen, sonst beenden wir das Experiment. Wenn es ein Jahr dauert, ist es okay. Wenn es fünf oder sieben Jahre werden, sind wir auch glücklich.
Haben Sie denn ein Back-up, falls Sie sich nicht durchsetzen können?
Ganz ehrlich, das habe ich nicht. Ich bin freier Schauspieler und das ist ja das Spannende. Mal ist man angesagt, mal ist man es nicht. Man ist immer so erfolgreich wie der letzte Flop, die letzte Brez’n oder der letzte Hit. Aber ich mache mir jetzt keine Sorgen um die Zukunft meiner Tochter. Wir haben nichts leichtfertig riskiert.
Alexander Pschill im Gespräch mit Barbara Reiter in seinem Theater "Bronski & Grünberg"
Es scheint ohnehin, als wären Sie ein Glückskind. Laut ihrer Biografie haben Sie 1993 gleich nach Ende der Schauspielschule eine Hauptrolle in Peter Patzaks Film „1945“ bekommen.
Ich hatte zwar anfangs großes Glück, aber dann kam gleich die Durststrecke. Durch diesen Kick am Anfang habe ich aber die beste Freundin des Schauspielleiters des Theaters der Jugend kennengelernt. Das war ein sehr gutes Vorsprechen. Aber dazwischen waren ordentliche Löcher.
Der Mensch ohne Durststrecken ist mir noch nicht begegnet.
Oh doch, es gibt die Menschen ohne Durststrecken. Das sind die wirklich von der Muse und vom Glück Geküssten. Sie sind es zu Recht, weil sie einfach verdammt gut sind.
Das würde im Umkehrschluss bedeuten, sie wären nicht verdammt gut.
Um Gottes Willen, es gibt immer Bessere, gar keine Frage. Es gibt ein paar Kollegen, die ich sehr beneidet habe. Die haben von Anfang an gewusst, was sie machen und was nicht. Ich habe viele Fehler gemacht. Da denke ich mir heute, ich hätte damals sagen sollen, das bin ich nicht. Aber ich wusste es nicht.
Ist das jetzt die Distanzierung von Serien wie „Julia“ oder „Kommissar Rex“?
Ich rede jetzt generell von Projekten und Rollen. Das hat mit Serien, Film oder Theater gar nichts zu tun. Es geht um ein Spüren, womit man sich identifizieren kann und wo man schauspielerisch hineinpasst.
Ein Kollege von Ihnen, der auch einmal die Hauptrolle in „ Kommissar Rex“ gespielt hat, distanziert sich sehr klar davon.
Ich weiß nicht, vielleicht hat er sich distanziert. Ich glaube, das ist auch wichtig. Ob ich das auch tue? Sagen wir mal so, ich glaube, ich weiß jetzt im Nachhinein, was mir liegt und was nicht. Das ist immerhin über zehn Jahre her. Das Wissen, das die Beneidenswerten sofort haben, habe ich erst seit acht Jahren.
Alexander Pschill war als Kriminalinspektor Marc Hoffmann von 2002 bis 2004 das Herrl von "Komissar Rex"
Welche Kollegen meinen Sie?
Zum Beispiel Steffen Höld, der lange am Schauspielhaus war. Das ist einer, der immer bei sich war. Ich habe ihn auf der Bühne gesehen und auch ein-, zweimal mit ihm gespielt. Da habe ich gemerkt, es kommt alles authentisch aus ihm raus. Ich habe gehört, wie Sie vorhin mit jemanden über „Dancing Stars“ gesprochen haben. Der Herr Höld wäre, glaube ich, kein Dancing Star, obwohl es dem Ganzen gut tun würde.
Wären denn Sie einer?
Ich würde nicht mitmachen und sage das nicht, weil ich es nicht gut finde. Vielleicht hätte ich vor 15 Jahren noch mitgemacht, jetzt sicher nicht. Noch einmal und das ist wichtig zu sagen, ohne das Ding abzuwerten: Man muss einfach wissen, was passt und was nicht.
Angekommen. Lassen Sie mich noch eine Frage zur Vergangenheit stellen.
Ja natürlich.
Sie waren oft in erotischen Szenen mit schönen Frauen zu sehen – Elke Winkens in „ Kommissar Rex“ oder Hilde Dalik in „Die Lottosieger“. Das klingt nach einem Lottosechser.
Um Gottes Willen! Egal wer die Person ist, mit der das geschehen muss – und ich kann da nur für mich sprechen – es ist eine Qual, es ist die Hölle! Man muss Dinge tun, die man wirklich nur zu zweit tun sollte, vielleicht zu dritt oder zu viert.
Gut, dass Sie jetzt gelacht haben.
Also im Ernst, diese Dinge sollte man wirklich nur zu zweit tun und nicht vor einem Kamerateam, einem Caterer und den Lichtboys. Es ist einfach wahnsinnig peinlich. Aber: Wenn die Rolle stimmt und sie es verlangt, denkt man keine Sekunde drüber nach. Hilde Dalik und ich haben, glaube ich, gezählte 15 Mal ein Paar gespielt, einmal im Fernsehen, sonst auf der Bühne. Das war nie ein Thema, weil wir gewusst haben, was wir tun.
Pschill und Dahlik 2007 in Schnitzlers "Der Ruf des Lebens"
Es geht also um Identifikation.
Wenn ich weiß, dass ich richtig bin, geht das. Bei „Janus“ hatte ich auch so eine Szene. Ich mochte die Serie, „Die Lottosieger“, auch. Da habe ich nicht zweimal drüber nachgedacht. Bei anderen Serien war das schwieriger.
Unlängst habe ich Probenfotos von Gérard Depardieu gesehen, der momentan Theater spielt. Er hat eine Hose mit Hosenträgern an und ist oben nackt. Sie sind sehr schlank, aber angenommen sie hätten eine dicke Wampe wie er, würden Sie sich auf der Bühne oder im Film immer noch ausziehen?
Das ist das, was ich vorher gemeint habe. Wenn man in eine Figur eingerastet ist, kann man auch mit Hosenträgern und Wampe auf der Bühne stehen. Peinlich wird es, wenn man sich innerlich nicht wohlfühlt. Das ist doch im Leben genauso.
War es schön, als Sie zum ersten Mal Ihr eigenes Theater aufgesperrt haben?
Das war schon ein festlicher Moment. Aber kaum waren wir drinnen ... Es war total heruntergekommen, weil es lange leer stand. Große Wasserflecken, ein alter Spannteppich, beige Farbe an den Wänden. Aber es hat sofort angefangen, künstlerisch zu rattern.
Wir sitzen unter einer Flamingotapete. Gibt es eine Story dazu?
Eigentlich nicht, auch wenn ständig Geschichten dazu erfunden werden. Ich glaube, meine Frau hat sie im Internet entdeckt und gesagt: „Die wird’s.“ Ich wollte eine Dschungeltapete: Theater, Dschungel, Urwald. Aber wir haben keine schöne gefunden. Flamingos war close enough.
Sie sind neben Ihrer Frau und zwei Partnerinnen, der einzige Mann im Gründungsteam. Wie kommt’s?
Unser Team besteht aus mir, meiner Frau Kaja, Salka Weber und Julia Edtmeier. Salka und Julia sind zwei tolle Schauspielerinnen, die von derselben Agentur vertreten werden, wie ich. Vor zwei Jahren haben sie herausgefunden, dass ich nichts zu tun hatte wegen einer Stimmband-OP, und haben mich gefragt, ob ich als Regisseur ein Stück mit ihnen mache. Ich habe Ja gesagt, aber nur gemeinsam mit meiner Frau, weil wir immer alles in Co-Regie machen. Dann haben wir ein Stück auf die Beine gestellt.
Wie war die Arbeitsteilung?
Kaja und ich haben Bühne, Text und Regie gemacht, die zwei Jungen die anstrengenden Sachen wie Geld aufstellen. Das haben die beiden so großartig gemacht, dass wir uns dachten, das ist die Chance. Wenn wir vier zusammenbleiben, können wir mehr daraus machen. So ist dieses Theater entstanden.
Wie ist das Arbeiten mit der eigenen Frau?
Ich habe Kaja an der Josefstadt kennengelernt, wo sie als Bühnenbildassistentin tätig war. Seitdem arbeiten wir gemeinsam.
Was war mit der Goldenen Regel, sich am Arbeitsplatz nicht zu verlieben?
Ich habe mir diesen Satz selbst noch mal spezifisch aufgedruckt, weil es mit mir und Kolleginnen nie gut gegangen ist. Aber damals ging es nicht anders. Das war dann doch emotional zu stark.
Mit seiner Frau Kaja (bei der Romy-Gala 2014) hat Pschill eine eineinhalb-jährige Tochter - und das Theater "Bronski & Grünberg"
Herr Pschill, Sie sind 46 Jahre alt ...
Ja, ich muss auch immer nachrechnen. Leider ist es wirklich so.
Immerhin kam mit zunehmendem Alter der Mut, Ihr eigenes Ding zu machen.
Aber nur, weil ich den Arschtritt durch andere bekommen habe. Alleine wäre dieser Schritt für mich undenkbar gewesen. Wissen Sie, was wirklich mutig ist?
Nackt auf der Bühne zu stehen.
Ja mit Hosenträgern. Das muss ich mir merken für die nächste Inszenierung.
Aber der Riesenbauch.
Er steht dazu, Obelix halt. Wirklich mutig ist, überhaupt auf die Bühne zu gehen. Jede Premiere ist nervenzerreißender als ein Theater zu eröffnen. Ich hätte die Eröffnung hier fast vergessen, weil ich am selben Tag in den Kammerspielen gespielt habe. Wenn du auf die Bühne musst, auch wenn es nur eine kleine Rolle ist, erfordert das viel mehr Mut, als dieses Experiment hier.
Ich habe Sie vor langer Zeit im Stück „Endlich Schluss“ in der Josefstadt gesehen. Es war ein Ein-Personen-Stück.
Alleine ist wirklich hart. Markus Hering hat auch einmal ein Solo-Stück gespielt und in einem Interview gesagt, dass sich sein Lampenfieber danach für immer halbiert hat.
Alexander Pschill im Ein-Personen-Stück "Endlich Schluss!" 2012 an der Josefstadt
Ich überlege schon die ganze Zeit, an wen Sie mich äußerlich erinnern.
Da kenn’ ich eine lustige Geschichte. Vor zehn Jahren habe ich bei einem Sommertheater einen der drei Musketiere gespielt. Wir hatten Kostümprobe mit richtig tollen Burgtheaterkostümen aus dieser Zeit. Mit diesen Stulpstiefeln, einem Hut mit dieser Feder, Degen und Halskrause. Ich stehe vor dem Spiegel und denke mir, ein Jugendtraum wird wahr. Ich bin der König von Mantel und Degen. Bis die Kostümbildnerin kam und sagte: „Du siehst aus wie der Kleine aus der „Blechtrommel“ ...
Ach du heilige ... Oskar Matzerath?
Ich dachte auch, sie sagt Clark Gable oder Erol Flynn. Aber ich habe den Schauspieler einmal kennengelernt (Anm.: David Bennent) und der sieht eh gut aus. Die Kostümbildnerin hatte ja die Rolle in der „Blechtrommel“ gemeint. Trotzdem hat es mich etwas ... naja.
Ich möchte den Vergleich toppen. ich finde, Sie haben Alain-Delon-Momente.
Jetzt hören Sie aber auf. Das nehme ich nicht an!
Wirklich, glauben Sie mir, nicht durchgehend, aber immer wieder.
Das glaube ich zwar nicht, aber vielen, vielen Dank. Den mag ich gerne. Der sieht ja immer noch toll aus.
Sie können freudig in die Zukunft blicken.
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
Alexander Pschill, 46, wurde 1970 in Wien geboren und absolvierte von 1989 bis 1993 eine Schauspielschule in Seattle. Nach seiner Rückkehr bekam er im selben Jahr seine erste Hauptrolle in Peter Patzaks Film „1945“, zuvor hatte er aber seine erste, winzige Theater-Rolle am Schauspielhaus. Bekannt wurde Pschill, als er nach Tobias Moretti und Gedeon Burkhardt 2002 die Hauptrolle in der Serie „Kommissar Rex“ übernahm. Weitere Erfolgsserien wie „Die Lottosieger“ und „Janus“ folgten. Seit 9. November leitet er gemeinsam mit drei Frauen das Theater „Bronski und Grünberg“ in Wien. Im September 2015 wurden der Schauspieler und seine Frau, die Bühnenbildnerin Kaja Dymnicki, auch zum ersten Mal Eltern einer Tochter.
Dieses Wochenende und am Montag, 16. Jänner, steht im „Bronski und Grünberg“ um 19.30 Uhr das Stück „Hom(m)e Alone“ auf dem Programm.
Karten unter: 0681/20 67 45 40