Kultur

Albertina: "Chagall bis Malewitsch"

Eine komplexe Ausstellung. Rund 130 Werke. Ohne Chronologie. Denn "Chagall bis Malewitsch" – bewusst auf die Malerei beschränkt – "vereint unvereinbare Positionen", so Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder.

Sie demonstriert beeindruckend, dass der Begriff der russischen Avantgarde im Singular falsch ist. Es gibt nur russische Avantgarden: Eine Fülle an konkurrierenden Künstlergruppen und -vereinigungen. Diese Parallelen, das Neben- und Gegeneinander der Stile, Bewegungen und Künstler präsentiert die Schau in zehn Kapiteln.

Die erste Phase reicht von 1905 bis 1917, denn die russische Avantgarde mit ihren verschiedenen Strömungen ist keine Folge der bolschewistischen Revolution, sondern "sie beginnt mit dem Primitivismus , als Goncharova und Larionov die Kunst der Kunstlosigkeit, die Vereinfachung bis zum Exzess betreiben", so Schröder. "Mit wunderbar vitalen Werken, die am ehesten noch eine Parallele in unserem Expressionismus finden."

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Poetische Bildsprache

Die "Stars" unter den Exponaten" – großteils aus dem Staatlichen Russischen Museum in St. Petersburg – sind freilich einerseits die schwärmerischen, bunt leuchtenden Bilder von Marc Chagall (1887–1985), für den Kunst "Seelenzustand" war. Der sich nicht als Fantast sondern als Realist verstand und sich nie von der gegenständlichen Malerei abwandte.

Er erzeugte mit zwischen Realität und Traumwelt changierenden Motiven, mit seiner teils nostalgischen, teils melancholischen und poetischen Bildsprache eine Art übernatürliche Realität.

Im krassen Kontrast dazu steht der Suprematismus des Kasimir Malewitsch (1878 – 1935): Für den am "Nullpunkt der Malerei" angelangten Erfinder der gegenstandslosen Kunst war das Quadrat – eher ein Manifest als ein Gemälde – eine unergründliche Ikone. Das endgültige Bild schlechthin.

Malewitsch wollte seine Werke in weißen Räumen ausgestellt sehen und wird in der Albertina so gezeigt. Und Chagalls Vorliebe für die Räume des Unbewussten ist in einem dunkelblauen Ambiente berücksichtigt.

Ein bisschen auf Schockwirkung zielt der erste Raum ab, wo fünf Bilderpaare so gar nicht zusammenpassen wollen. Überraschend etwa der scharfe Gegensatz zwischen präziser Körperdarstellung und einer Venus-Karikatur. Die "Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen" bei der gleichen Generation zieht sich wie ein roter Faden durch die Schau.

Bei Lebedew, Altman oder Kijun setzt die Entwicklungslogik der Kunsthistoriker plötzlich aus. Äußere Einflüsse wie die russische Revolution 1917, der Tod Lenins 1924 und der Aufstieg Stalins zur Macht erklären Brüche und Widersprüche.

Der gemeinsame Feind aller ist die Vergangenheit. Und noch etwas haben sie gemeinsam: Chagall mit seinen fliegenden Kühen oder einem schwerelos in Traumbläue schwebenden Liebespaar, Kandinsky mit seinen abstraktesten Werken, Malewitsch mit den radikalen Entwürfen jenseits der gegenständlichen Welt und Rodtschenkos konstruierte Architekturen.

"Es ist der Kampf gegen die Schwerkraft, gegen alles, was uns an die Vergangenheit bindet", so Schröder. Aber auch der Existenzkampf jedes Einzelnen im Russland, das nach Revolution und Bürgerkrieg in den Stalinismus taumelt.