Kultur

Vom Bettler zum Millionen-Seller

Alle zwei Minuten wird irgendwo auf der Welt ein Lied von ihm im Radio gespielt: Albert Hammond sen. ist – wenn auch heimlich – der König unter den Songwritern. Denn nur ganz wenige seiner Hits, etwa „It Never Rains In Southern California“ und „The Free Electric Band“ hat er selbst interpretiert. Im KURIER-Interview erzählt er, warum er immer glücklich damit war, Charts-Renner wie „The Air That I Breathe“ und „One Moment In Time“ an andere weiterzugeben.

KURIER: Sie waren mehrere Jahrzehnte nicht auf Tour. Was hat Sie bewogen, doch wieder live aufzutreten?

Das war mein Sohn (Anm: Albert Hammond jr., Gitarrist der Strokes). Ich habe das Tourleben für ihn aufgegeben, wollte mit ihm frühstücken, ihn in die Schule bringen, weil ich davor meinen Töchtern nie ein guter Vater war. Ich dachte, ich werde Songs schreiben und produzieren – was ja auch gut geklappt hat. Vor ein paar Jahren aber habe ich ihn auf der Bühne gesehen und wollte auch wieder live spielen. Ich fragte ihn, ob er glaubt, dass sich noch jemand an mich erinnern wird. Aber es sagte, das ist völlig egal. Wenn du auf Tour gehen willst, dann mach es.

Welche Tipps haben Sie Ihrem Sohn für seine Karriere gegeben?

Als er neun war, waren wir zusammen in London und haben uns die „Buddy Holly Story“ angeschaut. Damals hatte ich ein Apartment in London und als wir zurückkamen, bat er mich, ihm ein paar Akkorde auf der Gitarre zu zeigen. Ich zeigte ihm drei und sagte, damit kannst du mindestens zehn Songs von Buddy Holly spielen. Am nächsten Morgen spielte er mit beim Frühstück tatsächlich einen Buddy-Holly-Song vor. Da wusste ich, dass er Talent hat.

Hat es Sie nie gestört, dass von vielen Ihrer Hits kaum jemand weiß, dass Sie von Ihnen stammen?

Nein, gar nicht. Ich bin da nicht gierig. Im Gegenteil, als ich zum Beispiel hörte, Celine Dion will einen meiner Songs singen, war ich begeistert - wie ein Kind mit einem neuen Spielzeug. Ich dachte immer, erfolgreich zu sein ist wunderbar, aber berühmt zu sein ist eine Plage. Denn es ist schwer, mit Ruhm umzugehen. Man braucht sich nur Michael Jackson oder Elvis Presley anzuschauen - die waren unendlich berühmt, aber trotzdem unglücklich.

Was macht einen Welthit aus?

Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung. Die Leute denken immer, der muss genau wissen, was er tut. Aber in Wirklichkeit habe ich nicht Musik studiert und kann keine Noten lesen. Und die meiste Zeit habe ich ohnehin das Gefühl, dass ich nur ein Objekt bin, durch das diese Musik von irgendwoher auf die Erde geschickt wird. Ich bin keiner der Songwriter, die sich jeden Tag um 9 Uhr hinsetzen und dann schreiben. Ich brauche Inspiration und schreibe oft für sechs, sieben Monate gar nichts. Bei mir müssen die Songs kommen, ich kann sie nicht erarbeiten. Deshalb fand ich es unpassend, das die Plattenfirma meine Comeback-CD vor drei Jahren „Legend“ genannt hat.

Aber alle zwei Minuten wird irgendwo auf der Welt ein Hit von Ihnen gespielt. Und von Ihren Songs wurde sagenhafte 360 Millionen Tonträger verkauft . . .

Ich weiß, ich weiß. Aber das ist ein Talent, das mit gegeben wurde. Ich fühle mich unglaublich privilegiert, dass ich damit Millionen von Leuten glücklich machen kann - ich habe wirklich sehr viel Glück im Leben. Dafür bin ich unendlich dankbar. Aber ich werde das nicht verwenden, um zu sagen, seht her wie gut ich bin. Ich will meine Füße auf dem Boden halten.

Wie erklären Sie sich, dass viele Ihrer Songs über die Jahre sogar zwei oder drei Mal in verschiedenen Versionen Hits waren?

Auch da habe ich keine Ahnung. Vielleicht liegt es daran, dass fast alle meine Songs sehr fröhliche Melodien, aber sehr traurige Texte haben. Vielleicht auch daran, dass ich nicht nur Rock, R&B oder Country & Western mache. Auch wenn ich einen Flamenco-Song schreibe, sagen die Leute, das klingt großartig. Aber ja, „The Air That I Breathe“ war zuerst von den Hollies, dann von Simply Red und auch noch von den Everly Brothers ein Hit. Auch für mich ist das ein Mysterium.

Einer der Hits, die Sie selbst interpretiert haben, ist „The Free Electric Band“. Ist das eine wahre Geschichte?

Wahr ist, dass ich alles aufgegeben habe, um in einer Band zu spielen, weil ich frei sein wollte. Aber meine Mutter war Hausfrau und hat nie für eine Charity gearbeitet. Und mein Vater war ein Feuerwehrmann und kein Arzt. Es waren auch nicht sie, die gegen meine Musikerkarriere waren, sondern meine beiden Onkel. Sie hatten einen Elektroladen und wollten, dass ich Elektriker werden.

Aber „It Never Rains In Southern California“ handelt schon von den Anfangs-Jahren, als Sie mit 20 nach Hollywood zogen?

Nein. Obwohl ich dort auch eine Krise hatte, handelt das von der Krise die ich als 17-Jähriger in Madrid hatte. Da war ich oft hungrig, hatte nie Geld und musste in der U-Bahn betteln. Ich war jeden Tag bei Radiosendern, bat sie, mir eine Chance zu geben. Aber nichts ist passiert. Und um diese Story vom Streben und Versagen besser zu illustrieren musste ich die in Hollywood spielen lassen. „It Never Rains in Southern Madrid“ hätte mir keiner abgekauft. Aber ja, Madrid war schwierig, weil ich kein Geld hatte. Das kam erst, als ich wieder zurück in London war und für Leapy Lee „Little Arrows“ schrieb.

Wieso hatten Sie dann in Kalifornien auch noch eine Krise, obwohl Sie schon bekannt waren?

Da hatte ich zwar schon ein bisschen Geld, aber ich durfte nur 50 Pfund, das waren damals rund 120 Dollar, in die USA mitnehmen. Ich wohnte in einem Altersheim, das sie im ehemaligen Knickerbocker-Hotel auf der Ivar-Street eingerichtet hatten. Ich wohnte in der Cary-Grant-Suite, die ein normales Zimmer war, und zahlte 2,50 Dollar pro Nacht. Das Heim war voll mit alten Künstlern, Kabarettisten, Sängern und großartigen Pianisten, die es aber nie geschafft hatten. Und dauernd starb jemand - einmal sogar im Aufzug in meinen Armen. Ich dachte, da muss ich schnell raus, sonst werde ich wie die. Es hat aber fast ein Jahr gedauert.

Und so lange waren Sie in dem Altersheim?

Nein, nein. Ich haben dann Leute kennengelernt, Freunde gewonnen, auf ihren Couches geschlafen. Ein Mädchen war speziell nett zu mir. Sie hieß Linda, stammte aus Polen und hatte ein Herz aus Gold. Sie ließ mich bei ihr wohnen und gab mir sogar ihr Auto. Sie arbeitete bei einer Plattenfirma und sagte, wenn ich sie in der Früh hinführe und am Abend wieder abhole, kann ich dazwischen ihre VW benützen. Für sie habe ich „The Air That I Breathe“ geschrieben.

Und wann kam der Durchbruch?

Als ich bei Clive Davis, dem Entdecker von Whitney Houston, eine Audition bekam. Ich habe ihm ein einstündiges Programm mit allen meinen Songs vorgespielt - mit „The Air That I Breathe“, „Down By The River“, „The Free Electric Band“. Aber „It Never Rains In Southern California“ – und das illustriert auch, wie wenig ich weiß, was ein Hit ist – habe ich ihm nicht vorgespielt. Denn diesen Song hatte ich davor in London schon den Seekers, Glen Campbell und einigen anderen angeboten. Aber alle haben gesagt, das ist ein fürchterlicher Song. Clive jedenfalls fragte nach der Stunde, ob ich noch mehr Songs habe. Und ich sagte, ja, einen habe ich noch, aber der ist offensichtlich nicht gut. Er wollte ihn trotzdem hören und sagte danach sofort: „Das wird dein Hit. Und so wird auch dein Album heißen!“ Er wusste was ein Hit ist, ich nicht.

Und solche und andere Anekdoten erzählen Sie jetzt auch bei ihren Konzerten . . .

Genau. Denn ich spiele auch all die Songs, die ich für Leute wie Tina Turner, Roy Orbison, Johnny Cash und Julio Iglesias geschrieben habe und dachte, da wäre es doch nett, ein paar Storys über sie mitzuliefern.

Karriere Albert Hammond sen. wurde am 18. Mai 1944 in London geboren. Er wuchs in Gibraltar auf und begann mit neun Jahren Gitarre zu spielen. Seinen ersten Hit hatte er mit „Little Arrows“, den er mit Textautor Mike Hazlewood für Leapy Lee schrieb.

Erfolge Kompositionen von Albert Hammond sen. sind für den Verkauf von 360 Millionen Tonträgern verantwortlich. Unter anderen schrieb er: „To All The Girls I’ve Loved Before“, „I’m A Train“, „The Peacemaker“ und „Down By The River“.