Kultur

50 Punkte, warum man Fleischhauer wird

So etwas liest man doch normalerweise nicht freiwillig, wenn eine junge Frau aus Wien beschließt, in Leipzig Fleischhauerin zu werden – und genüsslich in 50 Punkten aufzählt, was ihre Berufswahl beeinflusst hat.

Punkt 26: „Wie mich Mutter an der Hand nahm und wir in der Fleischerei Schlingel Faschiertes kauften und ich zu Hause einen kleinen Penis daraus formte und behauptete, Peter aus der Schule hätte genauso etwas in der Hose.“ Zum eigenen Erstaunen liest man das mit immer größer werdendem Vergnügen – wobei es freilich schon auch möglich ist, sich vom „Königreich der Schatten“ betrogen zu fühlen.

Sicherer Halt

Vom 1972 in Brno geborenen und 1979 mit seinen Eltern nach Wien geflüchteten Michael Stavarič ist man ja einiges gewöhnt. In früheren Romanen gab es tote Mütter, die Briefe geschrieben haben, und eine Heuschreckenplage in der Mariahilfer Straße. Immer ein Schmaus, aber schwer verdaulich.

Dagegen klingt seine neue Geschichte geradezu „deppensicher“. Die Rosi lernt also in Leipzig das Fleischerhandwerk, übernimmt dort das Geschäft des alten Meisters Schlitz und trifft den jungen Amerikaner Danny, der sich ebenfalls fürs Fleisch interessiert.

Die Begegnung findet auf einer Antirutschmatte statt, die Anfängern beim Schlachten sicheren Halt verspricht.

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Aber so witzig der Roman ist: Er zeigt uns – unangenehm – die Anbetung des Fleisches; selbst in beschriebenen Krisenzeiten, in denen Käfer vom Himmel fallen, Vögel verschwinden und Krokodile im Wasser der Atomkraftwerke leben. Die Wahl der „Miss Fleisch“ wird deshalb sicher nicht entfallen.

Und er behält dabei das Geschäft des Tötens im Auge. Rosis Großvater, ein Nazi, ist nämlich im Krieg erschossen worden – von Dannys Großvater.

Übrigens kauft Michael Stavarič Rindfleisch beim Ringel in der Wiener Gumpendorfer Straße. Und seine Großmutter war ... Fischhändlerin.

KURIER-Wertung:

Info:Königreich der Schatten“. Illustriert von Mari Otberg. C. H. Beck Verlag. 256 Seiten. 20,60 Euro.